System zur Katastrophen-Warnung: Zügig geht anders

Seit der Flutkatastrophe im Ahrtal wird über neue digitale Warnsysteme gesprochen. Brauchbare Ergebnisse sind nicht in Sicht

Flutschaden (Symbolbild: Shary Reeves)
Flutschaden (Symbolbild: Shary Reeves)

 

Von Wolfgang Kleideiter

 

Ob in den Niederlanden oder in Italien, Polen, Peru oder Japan – viele Länder auf dem Globus sind in der Lage, ihre Einwohner mit einem Mobilfunkdienst über Gefahren, Notfall- und Krisensituationen zu informieren. Und dies sogar gezielt in einzelnen Teilen eines Staatsgebietes und auch dann, wenn das Netzwerk überlastet oder das Mobiltelefon stumm geschaltet ist. Erreicht wird jedes Mobilgerät in einer Funkzelle – vom einfachen Handy bis zum ultrateuren Smartphone. In der Stadt und auf dem Land. Und auch jedes Handy, das neu in eine Funkzelle kommt, wird mit der Warnnachricht versorgt.

 

Cell Broadcast heißt der schon seit den 1990er Jahren zur Verfügung stehende Dienst, der Kurzmitteilungen über die Sendemasten aller Mobilfunkversorger an alle Empfänger in einem definierbaren Gebiet versendet. Es ist müßig zu fragen, warum dieses unmittelbare Warnsystem in Deutschland bisher nicht genutzt wird, sondern der Katastrophenschutz mit der Smartphone-App „NINA“ und der App „Katwarn“ arbeitet. Bei einem ersten bundesweiten Warntag im Jahr 2020 waren diese Systeme vollkommen überlastet, obwohl nicht einmal zehn Prozent der Bevölkerung die Apps überhaupt heruntergeladen haben. Meldungen kamen – wenn überhaupt - mit einer halben Stunde Verspätung an. Christoph Unger, damals Präsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), verlor in der Folge seinen Posten.

 

Kurznachricht kann Leben retten

 

Seit der verheerenden Flutkatastrophe im Sommer 2021 wollen Bund und Länder Cell Broadcast endlich einführen, um Menschen an allen Orten der Republik über eine Kurznachricht vor Überschwemmungen, schweren Unwetter, Bränden oder anderen Gefahren zu warnen. Eine Kurznachricht kann Leben retten. NL-Alert auf Basis von Cell Broadcast erreichte in den Niederlanden bei einem Test im Jahr 2020 fast 90 Prozent der Bevölkerung. Im Katastrophenfall ein extrem hoher Wert.

 

Unter dem Eindruck der Toten und der Zerstörungen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen wurde versprochen, das CB-Warnsystem zügig zu testen und einzuführen. Anfangs sollte der Test im ersten Quartal dieses Jahres stattfinden. Inzwischen wurde der bundesweite Warntag, an dem das System und auch das reaktivierte Netz der Sirenen geprüft werden sollen, von September auf einen Tag im Dezember vertagt. Das Cell-Broadcast-System, so gab Ralph Tiesler, seit kurzem Chef des BBK, bekannt, werde aber auch dann zunächst nur in kleinem Kreis erprobt.

 

Zeitverzögerungen unverständlich

 

Das ist nicht gerade vertrauensfördernd. Man stellt sich die Frage, wie lange die Einführung dann noch dauern wird. Denn zügig geht anders. Die Zeitverzögerungen sind angesichts der weiterhin mangelhaften Warnungen im Katastrophenfall kaum nachzuvollziehen. Von den Netzbetreibern kam zuletzt der Hinweis, dass man lange auf endgültige Ansagen der Bundesnetzagentur gewartet habe. Im Innenministerium wiegelt man trotz der Terminverschiebungen ab. Mehr noch: Eine Verzögerung liege nicht vor, heißt es dort.

 

Im Klartext bedeutet dies: Menschen in Städten und ländlichen Gebieten müssen wohl noch bis 2023 in Deutschland mit einem unzureichenden Warn-Mischmasch leben. Hier die App, dort das Radio oder der Fernsehsender, mal ein Hinweis im Internet oder auf der Infotafel einer Stadt. Der schnellste Weg, die Kurznachricht auf jedem Mobiltelefon, kann immer noch nicht beschritten werden. Passend zum lückenhaften Sirenennetz im Land kann man nur sagen: Es ist zum Heulen. 

 


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