Borchert: Alle Betriebe der Nutztierhaltung verdienen eine Chance

Zweiter Teil des Interviews mit dem Vorsitzenden der Regierungskommission Nutztierhaltung (Borchert-Kommission)

Hausschweine (Symbolbild: Marion Streiff)
Hausschweine (Symbolbild: Marion Streiff)

 

Die Fragen stellte Jürgen Wermser

 

Herr Borchert, falls die deutschen Landwirte ihre Betriebe - so wie von der Bundesregierung gewünscht - tatsächlich für viel Geld in Richtung mehr Tierwohl umstellen: Wie kann die Gleichbehandlung inländischer Erzeugnisse mit importierter Ware aus anderen EU-Ländern oder Drittstaaten sichergestellt werden?

 

Wenn die Nutztierhaltung so umgestellt wird, wie vom Kompetenznetzwerk vorgeschlagen, dann gibt es keine Wettbewerbsverzerrung. Denn die Mehrkosten, die durch höhere Haltungsstufen entstehen, würden den Landwirten ausgeglichen. Sie wären dann auch gegenüber importierten Produkten wettbewerbsfähig. Doch dies funktioniert natürlich nur, wenn die Mehrkosten tatsächlich durch staatliche Mittel ausgeglichen werden. Falls dies nicht geschieht, verlieren wir an Wettbewerbsfähigkeit. In der Konsequenz würde die Nutztierhaltung in andere Länder verlagert werden. Das kann nicht unser Ziel sein, da die Standards, die wir anstreben, in anderen europäischen Ländern nicht umgesetzt werden - von außereuropäischen Staaten ganz zu schweigen. Dort gibt es ganz andere gesetzliche Rahmenbedingungen.

 

Wie intensiv und vertrauensvoll ist in der Praxis der politisch-fachliche Austausch zwischen Bundesregierung auf der einen Seite sowie der Borchert-Kommission auf der anderen?

 

Der Austausch ist inzwischen intensiv und vertrauensvoll. Jede Seite kann sich darauf verlassen, dass Überlegungen, die noch nicht druckreif sind, auch nicht nach außen dringen. Wir können auf diese Weise intensiv beraten, wie eine vernünftige Lösung möglich ist. Demnächst findet eine Kommissionssitzung statt, in der der Bundesminister erläutern will, wie er sich ein neues Mandat für die Kommission vorstellt. Denn eigentlich ist unser Mandat mit der Vorlage einer Empfehlung abgelaufen. Aber der Minister hat erklärt, er lege großen Wert darauf, dass wir weiter arbeiten. Darüber werden wir jetzt gemeinsam im Detail diskutieren.

 

In den vergangenen zehn Jahre konnten immer weniger Landwirte von der Schweinehaltung leben. Lässt sich dieser Trend noch stoppen oder zumindest verlangsamen?

 

Wir haben in den 1990er Jahren und Anfang des Jahrtausends die Nutztierhaltung in Deutschland deutlich ausgebaut. Es ging darum, möglichst kostengünstig zu produzieren. Dann sind die Auflagen aus tierschutzrechtlichen Gründen deutlich erhöht worden. Wir haben daraufhin stark an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Unseren Marktanteil und unsere Wettbewerbsfähigkeit können wir nur erhalten, wenn die Mehrkosten aufgrund höherer Standards auch finanziell ausgeglichen werden. Ich halte das für notwendig im Interesse der Betriebe, die Schweine halten und mästen. Es ist auch notwendig zur Erhaltung der Ernährungssicherheit - ein Punkt, der durch Putins Invasion in die Ukraine aktuell an Dynamik und Dramatik zugenommen hat. Allen ist bewusst geworden, wie wichtig Ernährungssicherheit auch in den heutigen Zeiten ist. Deshalb verdienen alle Betriebe der Nutztierhaltung eine Chance, sich im Wettbewerb zu behaupten.

 

Haben Sie Verständnis für kritische Reaktionen aus dem Bereich der Landwirtschaft, wie etwa dem Raiffeisenverband?

 

Die Schweinehaltung befindet sich in einer schwierigen Situation. Durch die Corona-Krise ist der Verbrauch zurückgegangen. Aber man kann nicht von heute auf morgen aus der Produktion aussteigen. Wer Ferkel kauft, muss sie auch mästen. Hinzu kommt die Ukraine-Krise, die zu gestiegenen Kosten bei vielen Vorprodukten geführt hat. Das schlägt sich auch in höheren Preisen für das Endprodukt nieder, was den Verbrauch zusätzlich senkt. All dies halten Landwirte nicht lange durch, wenn sie keine Perspektive haben. Deshalb muss die Politik jetzt entscheiden, wie die Nutztierhaltung in Deutschland künftig aussehen und finanziert werden soll. Wenn dies mit der erforderlichen vertraglichen Sicherheit geschieht, dann glaube ich, dass die Betriebe in dieser schwierigen Phase durchhalten wollen. Ansonsten werden sie aufgeben.

 

Was würde dies für die Gesamtwirtschaft bedeuten?

 

Wer aus der Nutztierhaltung aussteigt, wird nicht wieder einsteigen. Diese Betriebe sind für den Markt verloren. Dies gilt insbesondere, wenn der Generationenwechsel ansteht. Die jungen Leute überlegen heute sehr genau, ob sie den Hof von den Eltern tatsächlich übernehmen sollen. Sie brauchen unbedingt eine Perspektive und wollen verständlicher wissen, mit welchen politischen Entscheidungen sie rechnen müssen. Deshalb ist es so wichtig, dass Regierung und Parlament jetzt die Weichen in der Nutztierhaltung verlässlich stellen.

 

Welche Auswirkungen hat der Ukraine-Krieg und die damit verbundene Preisspirale bei Futter und Energie auf die Tierwohl-Diskussion in Deutschland?

 

Die Kosten für die Produktionsmittel sind deutlich, teilweise dramatisch gestiegen, etwa für Energie und Futter. Das verschärft die allgemeine Krise in den einzelnen Betrieben. Hier brauchen wir rasch Lösungen. Unabhängig davon geht die Tierwohl-Diskussion weiter. Das ist nicht nur der gesellschaftliche Wille, wie er sich in zahllosen öffentlichen Äußerungen zeigt. Auch viele Gerichtsurteile sind Ausdruck dieser Entwicklung. In den laufenden Verfahren wird das Bundesverwaltungsgericht zu keinem anderen Ergebnis kommen als im Urteil zum Kükentöten. Dort hatte es geheißen, das Interesse der Küken wiege schwerer als das wirtschaftliche Interesse der Betriebe. Schon deshalb dürfen wir die Umstellung auf tiergerechte Haltungsformen nicht aufschieben, sowohl im Interesse der Betriebe als auch der Nutztiere.

 

Ist eine ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln in Deutschland auch für den Fall eines noch länger andauernden Konflikts in der Ukraine gewährleistet?

 

Ja, davon gehe ich aus. Wir können im pflanzlichen Bereich die Produktion so umstellen, dass stärker der nationale Markt bedient wird. Im Übrigen sollten wir hier nicht nur national, sondern europäisch denken. Innerhalb der EU sehe ich bei der Ernährungssicherheit keine Probleme. Ganz anders sieht es hier leider in vielen Entwicklungsländern aus. Sie leiden bereits jetzt unter einer dramatischen Nahrungsmittelknappheit. Diese Situation droht sich noch zu verschlimmern. Deshalb muss der Krieg in der Ukraine möglichst bald enden. Außerdem brauchen wir in Deutschland eine Lebensmittelproduktion, die anderen Staaten hilft, die Ernährung ihrer Bevölkerung wenigstens halbwegs zu sichern.

 

Lesen Sie auch Teil eins des Interviews:

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