Verkehrswende in den Ländern überhaupt umsetzbar?

Die Busbetriebe können ihren von den Behörden erteilten Aufträgen oftmals nicht mehr nachkommen. Es fehlt an Personal

Der Innenraum eines Linienbusses. (Symbolbild: Mario Venzlaff)
Der Innenraum eines Linienbusses. (Symbolbild: Mario Venzlaff)

 

Von Jürgen Muhl

 

Noch vor wenigen Wochen freuten sich die beiden Unternehmer Lutz Rathje und Jürgen Ubben über zusätzlich Aufträge. Die beiden Mittelständler betreiben gemeinsam einen großen Teil des Busverkehrs im schleswig-holsteinischen Kreis Steinburg. Doch seit einigen Monaten sieht ihre Welt anders aus. "Fahrermangel prägt unser Tagesgeschäft", berichtet Jürgen Ubben. Mit dem Bus in die äußerste Ecke des Kreisgebietes. So heißt das politische Ziel, um den Autoverkehr zu entlasten, um die angestrebte Verkehrswende auf den Weg zu bringen. Aber das funktioniert nicht immer. Schon gar nicht auf dem Lande.

 

Wie auf zahlreichen Linien zwischen der Kreisstadt Itzehoe, der Hafenstadt Brunsbüttel oder der Heavy Metal-Metropole Wacken, wo Anfang August nach drei Jahren Corona-Pause rund 100.000 Besucher zum Open-Air-Festival erwartet werden. Auch in Richtung Glückstadt, wo Hochbetrieb an der Elbfähre herrscht, sei man längst nicht auf dem Zielniveau, fügt Ubben hinzu.  Die Region Steinburg ist nur ein Beispiel für ein bundesweites Problem: Die Busbetriebe können ihren Aufträgen, erteilt von den Behörden, nicht mehr nachkommen. Es fehlt an Personal.

 

„Eigentlich eine tolle Geschichte“

 

Seit guten einem Jahr hat der Großteil der Kreisverwaltungen erheblich mehr Linienbusleistungen bestellt. Auch abgelegene ländliche Gemeinden sollen bedient werden. "Eigentlich eine tolle Geschichte", sagt Lutz Rathje vom gleichnamigen Busunternehmen in der Gemeinde Schenefeld, die an der Grenze zum Kreis Rendsburg-Eckernförde liegt. Ein riesiges Kreisgebiet, das fast von der Westküste bis an die Stadtgrenze der Landeshauptstadt Kiel reicht und in dem die Bevölkerung auf einen funktionierenden Kreisverkehr angewiesen ist. Doch die steigende Nachfrage für Fahrpersonal trifft auf einen leergefegten Arbeitsmarkt. Überall mangelt es an Fahrern, vielerorts fallen immer wieder Fahrten aus. Das vorhandene Personal arbeitet am Limit. "Wir dürfen unsere Leute nicht verheizen und müssen zusehen, dass die Arbeit attraktiv bleibt", führt Jürgen Ubben aus und gibt zu bedenken: "Verkehrswende bedeutet, dass sich die öffentlichen Verkehre in den nächsten Jahren gegenüber 2021 fast verdoppeln. Das aber funktioniert nur mit ausreichendem Personal“, weiß Ubben.

 

Jedes Jahr braucht viele hundert Fahrer

 

Alle privaten Verkehrsunternehmen haben ihre Leistungen im europaweiten Ausschreibungswettbewerb gewonnen und müssen dementsprechend knapp kalkulieren. Die Ausbildung von Fahrern ist teuer. Klassische Ausbildung ist selten, da die Schulabgänger noch zu jung seien für den Busführerschein. Die Umschulung von Quereinsteigern kostet viel Geld, bis zu 40.000 Euro pro Person. Weil jedes Jahr viele hundert neue Fahrer im Land gebraucht werden, kann das einzelne Unternehmen wenig ausrichten. Eine konzertierte Aktion aller Akteure, Unternehmen, Verbände, Aufgabenträger und das Land müssen zusammenwirken, fordern die Busunternehmer Rathje und Ubben.

 

"Alle unsere Hoffnung richtet sich darauf, dass das Thema in den Kieler Koalitionsverhandlungen Berücksichtigung findet", so Ubben.  "Andernfalls müssen wir befürchten, dass die gewünschte Verkehrswende wegen Fahrpersonalmangel ausfällt." Was in Schleswig-Holstein derzeit laut beklagt wird, beunruhigt eine große Zahl von Bus-Unternehmern in der gesamten Republik. Und besonders dort, wo ländliche Interessen auf der Strecke bleiben.

 


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