An der Tankstelle kommt die Staatshilfe nicht richtig an

So hatte es sich die Bundesregierung bei der Steuersenkung auf explodierende Benzinpreise nicht gedacht
Ölfässer auf einem Stapel goldener Münzen. Wachstum Anstieg der Ölaktienpreise. 3D-Illustration (Symbolbild: Bet_Noire)
Ölfässer auf einem Stapel goldener Münzen. Wachstum Anstieg der Ölaktienpreise. 3D-Illustration (Symbolbild: Bet_Noire)

 

Von Wolfgang Molitor

 

An den Zapfsäulen sieht man in diesen Tagen die schmutzige Seite des Kapitalismus, in die Abgründe eines marktbeherrschenden Schein-Wettbewerbs und die gierige Abzockerei der großen Mineralölkonzerne. Denn es ist so gekommen, wie es so mancher Kenner dieser Branche befürchtet hat: Der erhebliche vom Staat für den von Benzinhöchstpreisen gebeutelten, oft zwangsläufig berufspendelnden Autofahrer (die Fahrerinnen eingeschlossen) Steuernachlass, landet in den tiefen Taschen der Öl-Multis. Knapp über die Hälfte des Steuernachlasses kommt nicht beim Kunden an. Preissteigerungen auf dem krisengeschüttelten Weltmarkt werden nicht gegengerechnet, sondern einfach draufgesattelt. Ohne das staatlich gewährleistete Entlastungsvolumen auch nur annähernd auszuschöpfen.

 

Die Pächter an den Tankstellen trifft das Unverständnis, der Ärger und die Frustration ihrer Kundschaft hart, auch wenn es die Falschen sind, weil sie längst keinen Einfluss mehr auf die zentral gesteuerte Preisgestaltung haben. Wie diese Branche tickt, zeigen seit Jahren die oft im Stundentakt geänderten Preise, die mehr einem Glücksspiel ähneln als einer seriösen Preispolitik.

 

Sprit-Rabatt aus Steuermitteln sofort stoppen?

 

Kein Wunder, dass es jetzt erste Stimmen gibt, die die Haushaltsgelder zur Entlastung der Verbraucher „anders und gezielter“ einsetzen wollen, statt sie zu einem großen Teil den Konzernen hinterherzuwerfen. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Renate Künast stellt nicht zu Unrecht fest, dass man faktisch einen Rabatt habe, „der in die Taschen der Mineralölkonzerne geht und noch nicht einmal eine Steuerungswirkung hat", weil er weder gezielt den unteren Gehaltsgruppen noch dem Klima nutze. Schützenhilfe kommt von anderer Seite: Denn auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, spricht sich für ein Ende der seit 1. Juni für drei Monate bis Ende August geltenden Steuerentlastung aus. Viele hätten prognostiziert, dass die Spritpreisbremse vor allem in den Taschen der Mineralölkonzerne landen würde, twittert der Ökonom und fragt: „Wie wäre es, wenn die Politik ihren Fehler eingesteht und die Spritpreisbremse sofort stoppt?“

 

Auch eine Umfrage der Deutschen Presseagentur unter mehreren Kommunen stützt Künasts These. Demnach sind viele Pendler- oder Park-and-Ride-Parkplätze nicht deutlich stärker ausgelastet als in der Vergangenheit. Dort, wo es eine stärkere Auslastung gegeben habe, lasse sich ein unmittelbarer Zusammenhang mit den Preissteigerungen an den Tankstellen jedenfalls nicht erkennen, so die Umfrage-Bilanz.

 

Wieder einmal erweist sich das Bundeskartellamt als zahnloser Tiger, der seinen markigen Worten, man werde den Konzernen scharf auf die Finger schauen und notfalls Konsequenzen aus ihrer offenkundigen Selbstbedienung ziehen, keine Taten folgen lässt. Dabei gäbe es jetzt Grund genug, den Wettbewerb auf dem Kraftstoffmarkt anzuheizen. Wie beim Strommarkt vorexerziert. Hier gab es für den Wettbewerb einen gewaltigen Schub, als die Politik die Stromkonzerne zur Abspaltung der Netze zwang. Die Abspaltung der Tankstellenketten vorzuschreiben, wäre ein vergleichbarer Schritt, die Kumpanei der Konzerne zulasten der Verbraucher zu knacken.

 

Es gibt keine Knappheit an Benzin und Diesel

 

Schon an diesem Freitag will Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte zudem im Bundesrat im Rahmen einer Gesetzesinitiative über die Einführung einer Übergewinnsteuer abstimmen lassen. Der Genosse weiß, dass er nicht nur von seinem Parteichef Lars Klingbeil, sondern auch von den Grünen Zuspruch erwarten kann. Angesichts der milliardenschweren Entlastungspakete beschäftige er sich intensiv mit der Frage, "wie wir mit den Krisen- und Kriegsgewinnern umgehen, die von der derzeitigen Lage massiv profitieren", führt Klingbeil aus. Mag der Schritt auch aus der sozialistischen Mottenkiste stammen: Angesichts der vorliegenden Bilanzen haben die Ölkonzerne tatsächlich ihre Profite in den vergangenen Monaten massiv gesteigert. Zurzeit gibt es keine Knappheit an Benzin und Diesel, aber Spekulation durch die Mineralölkonzerne. Ob die Übergewinnsteuer allerdings überhaupt eine Chance hat, Wirklichkeit zu werden, ist fraglich.

 

Bevor nur ein einziger Cent an den Staat fließt (übrigens nicht nur von den Ölkonzernen), müsste die Bundesregierung genau definieren, wer die Steuer zahlen soll oder was zum bereits besteuerten Gewinn als Übergewinn gilt. Eine Übergewinnsteuer darf obendrein nicht rückwirkend erhoben werden (so der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags), nicht „erdrosselnd“ sein und zudem dem Gleichheitsgrundsatz entsprechen. Vor allem: Die FDP als Anti-Steuererhöhungspartei wird da in der Ampel nicht mitmachen. 

 


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