Wenn das 9-Euro-Ticket nicht weiterhilft

Fährt nur zwei Mal am Tag ein Bus in die nächste größere Stadt, bringt das Monatsticket zum Schnäppchenpreis niemandem etwas

Regionalzug der Deutschen Bahn (Symbolbild: Erich Westendarp)
Regionalzug der Deutschen Bahn (Symbolbild: Erich Westendarp)

 

Von Wolfgang Molitor

 

Jetzt geht’s los. Und die Vorfreude ist wie die Nachfrage groß. Denn von diesem Montag an ist das 9-Euro-Monatsticket überall zu haben. Dafür kann jeder im Juni, Juli und August bundesweit sämtliche Busse und Bahnen der regionalen Verkehrsverbünde nutzen. Gleich, ob Berufspendler oder Freizeitfahrer. Das bedeutet: Vielerorts wird es in den Bahnen und Bussen wohl ziemlich eng.

 

Mehr noch: Vom 1. Juni an wird zudem die Steuer auf Treibstoff spürbar gesenkt (weil auf den entfallenen Teil der Energiesteuer auch keine Mehrwertsteuer mehr fällig wird). Der Steuersatz für Benzin fällt dann um 35 Cent, der für Diesel um knapp 17 Cent. Was heißt: In den ersten Tagen dürfte es Schlangen vor den Zapfsäulen geben und vielleicht manchen Ärger, weil niemand weiß, ob die Mineralölkonzerne den Nachlass auch vollumfänglich an die Kunden weitergeben werden. 

 

Und was ist in drei Monaten?

 

Das aber ist nur eine von vielen offenen Fragen. Von ihnen ist die zentrale: Welche Folgen wird die Preis-Offensive der Ampel-Regierung entfalten, wenn die beiden Entlastungen nach drei Monate auslaufen? Wird das 9-Euro-Ticket eine gewaltige Werbewirkung für den Nahverkehr haben? Oder wird man bei Benzinpreisen auf Vorkriegsniveau wieder mehr aufs Auto zurückgreifen?

 

Das Problem dabei ist: In Regionen und Ballungsräumen mit gut ausgebautem Bus- und Bahnnetz könnten manche nachhaltig darüber nachdenken, ob das Auto wirklich in jedem einzelnen Fall die beste Wahl ist. Kurze Strecken könnten dann mit der Bahn und dem Bus attraktiv werden, wenn Pünktlichkeit, kurze Taktzeiten, schnelle Verbindungen und ein gewisses Maß an Komfort gesichert sind. Hier bringt das 9-Euro-Ticket möglicherweise ein Umdenken mit sich.  

 

Im ländlichen Raum sieht die Sache anders aus. Hier dürfte sich die Mehrheit der Pendler darauf freuen, dass die Tankrechnung wieder, gleichwohl hoch, erträglicher ausfällt. Denn viele mögliche Kunden leben auch weiter in Gegenden, in denen der öffentliche Nahverkehr – zurückhaltend formuliert – unattraktiv bleibt. Wenn nur zwei oder drei Mal am Tag ein Bus in die nächste größere Stadt fährt, hilft das Monatsticket zum Schnäppchenpreis niemandem. Und wenn Regionalzüge in ländlichen Orten zwar halten, der letzte Zug aber um 18 Uhr stoppt, dann ist das Auto die einzige Alternative, individuell halbwegs mobil zu bleiben.

 

Fast alles bleibt beim Alten

 

Bei aller Freude: Der öffentliche Nahverkehr senkt zwar die Preise, belässt aber sonst alles ziemlich beim Alten. Regionalbahnausfälle, S-Bahn-Verspätungen, verpasste Anschlüsse: Alles das wird Alltag bleiben. Oft in überfüllten Abteilen obendrein. Die Hoffnung, so neue Kunden zu halten, wenn die Preise nach drei Monaten wieder steigen, ist jedenfalls nicht sehr groß.

 

Ob beim Benzinpreis oder den Bahn- und Bustarifen: Wer das Mobilitätsverhalten in Deutschland zugunsten von Klimaschutz und Umwelt verändern will, muss dauerhaft mehr Geld in eine umweltfreundliche, klimaschonende Mobilität stecken – vor allem in den öffentlichen Nahverkehr. Und trotzdem für die viel zu vielen, die wegen der mangelhaften ländlichen Infrastruktur davon noch lange nicht profitieren werden, die Mobilität zur Arbeit und in der Freizeit bezahlbar zu halten. 

 


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