Verzicht muss man sich leisten können

Immer öfter warnen Politiker vor einem spürbaren und langanhaltenden Wohlstandsverlust
Die hohe Inflation zehrt an der Kaufkraft der Menschen. (Symbolbild: Gerd Altmann)
Die hohe Inflation zehrt an der Kaufkraft der Menschen. (Symbolbild: Gerd Altmann)

 

Von Wolfgang Molitor

 

Verzicht, Entbehrung, Opferbereitschaft, Mangel: Wohl nicht nur für den früheren Bundespräsidenten Joachim Gauck kehren Wörter zurück, die für die große Mehrheit in unserer Gesellschaft im Alltag sehr lange keine große Rolle gespielt haben. Die harten Auswirkungen und diffusen Aussichten der Corona-Pandemie und die mühsam in den ukrainischen Grenzen gehaltene Kriegslust Russlands zwingen die Konsumgesellschaft zum Umdenken und zum Umsteuern.

 

Die Politik stößt ins gleiche Horn. Noch zurückhaltend, aber wahrnehmbar. Man werde sich das eine oder andere nicht mehr leisten können, sagt CDU-Chef Friedrich Merz, „jedenfalls für eine gewisse Zeit“.  Der Ukraine-Krieg werde „uns Wohlstand kosten“, raunt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann rechnet damit, dass „viele weniger Geld und weniger Wohlstand“ haben werden, weil die Energiepreise „in einer langen Phase der Konfrontation mit einem aggressiven Russland“ weiter stiegen.  Der Bundesfinanzminister blickt noch ein Stückchen weiter. Deutschland müsse sich „neue Quellen des gesellschaftlichen Wohlstands erarbeiten“, sagt Christian Lindner.

 

Noch klingt das nicht bedrohlich, schon gar nicht konkret. Noch geht es Deutschland gut. Der seit Jahrzehnten angefressene Sozialstaatsspeck scheint dick genug, um Bedürftige und akute Notfälle nicht hungern zu lassen. Auch deshalb schwingt in manch dunkler Prognose eine Arglosigkeit mit, die hart erarbeiteten Wohlstand mit dekadentem Überfluss verwechselt. Man könne ruhig ein paar Jahre mit weniger Lebensglück und Lebensfreude ertragen, sagt Gauck. Hochbetagt und gut versorgt.

 

Leben wir im Überfluss?

 

Viele tun sich schwer, das zu entbehren, was sie gar nicht brauchen. Ein hübsches Bonmot. Nicht nur bei Gauck hört man oft heraus: Leben wir nicht nur im Wohlstand, sondern im Überfluss? Brauchen wir wirklich alles, was wir uns wünschen? Und darf man sich alles leisten können, was das Herz begehrt? Nicht selten kommen diese Fragen aus jener noch immer breiten Mitte der Gesellschaft, für die der Verzicht nicht Entbehrung und Mangel ist, sondern der konsumkritische Ausfluss einer inneren Läuterung.

 

Doch es gibt auch andere und nicht wenige, die den Gürtel nicht deshalb enger schnallen, weil sie auf einen antrainierten geringeren Body-Mass-Index reagieren. Die nicht auf Fleisch verzichten, weil Gemüse gesünder ist. Laut einer YouGov-Umfrage fühlen sich 24 Prozent der Haushalte mit einem monatlichen Nettoeinkommen von unter 2.500 Euro angesichts der gestiegenen Teuerung kaum noch in der Lage, regelmäßige Ausgaben zu stemmen. Die hohe Inflation zehrt an der Kaufkraft der Menschen.

 

Wer soll das alles bezahlen?

 

Ein schnelles Ende ist nicht in Sicht. Noch schlägt das Energie-Risiko des Ukraine-Kriegs nicht auf die Sicherheit der allermeisten Arbeitsplätze durch.  Noch gibt der Staat vor, nahezu jede Folge neuer Schreckensnachrichten mit weiteren Euro-Abermilliarden relativ schmerzfrei abfedern zu können. Woher aber die ohne eine weit in die Zukunft geschobene Schuldenlast und Steuererhöhungen für die ökosozialistisch definierten „starken Schultern“ kommen sollen, ist so heikel wie unklar. Dass trotz hoher Inflation das Wort von einem neuen Solidarbeitrag die Runde macht, verheißt wenig Gutes.

 

Verzicht bedeutet deshalb auch, den wohlfeilen Ruf zu überdenken, die Politik müsse – abseits sozialer Härtefälle und Schieflagen – jeden individuellen Schaden ausgleichen und jede Teuerung mit staatlichen Mitteln kompensieren. Die Gesellschaft insgesamt wird sich neu justieren, neu organisieren müssen. Weil sie schon bald zu spüren bekommen könnte, dass verzichten mehr bedeutet als sparen.

 


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