Verwaltungen am Limit

Offenkundig sind zu viele kommunale Behörden personell und materiell nur unzureichend auf Krisen vorbereitet

Abgelegte Akten (Symbolbild: roma1880)
Abgelegte Akten (Symbolbild: roma1880)

 

Von Jürgen Wermser

 

So unterschiedlich die Hochwasser-Katastrophe im Westen, die Corona-Pandemie und die hohe Zahl an ukrainischen Flüchtlingen in ihren jeweiligen Ursachen und Ausmaßen auch sind, eines machen sie gemeinsam deutlich: die strukturelle Krise der deutschen Verwaltung. So wurde bei der Jahrhundertflut nicht rechtzeitig gewarnt, die anschließende Hilfe verlief mancherorts eher schleppend und führte bei vielen Opfern zu Frust. Und in der Corona-Pandemie leistete sich Deutschland einen statistischen Blindflug, weil die Gesundheitsämter keine validen Zahlen über die tatsächliche Anzahl an Infektionen liefern konnten und können. Für ein reiches Industrieland mitten im Europa ist dies ein politisches Armutszeugnis. Denn eine passgenaue Bekämpfung des Virus ist unter solchen Umständen kaum möglich.

 

Offenkundig sind zu viele Behörden personell und materiell am unteren Limit der Leistungsfähigkeit ausgestattet. Im „Normalbetrieb“ mögen sie sich noch zu helfen wissen, aber sobald etwas Unerwartetes geschieht, herrscht schnell der Ausnahmezustand - so wie aktuell bei der geordneten Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine.

 

Die meisten Beschäftigten geben ihr Bestes

 

Den einzelnen Verwaltungsmitarbeitern kann kein Vorwurf gemacht werden. Sie versuchen in aller Regel, ihr Bestes zu geben. Aber irgendwann ist die Grenze der Belastbarkeit erreicht, so wie jetzt beispielsweise in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover. Der dortige Gesamtpersonalrat beklagt, dass die Beschäftigten der Ausländerbehörde aktuell mehr leisten würden, als sie verkraften könnten. Ein Sprecher der Stadtverwaltung räumte die „hohe Arbeitsbelastung“ ein. Diese führe zu vielen Fehlern in der Arbeit und dazu, dass in Hannover lebende Ausländer oft monatelang auf wichtige Dokumente warten müssten.

 

Solche Zustände sind schon schlimm genug. Vollends problematisch wird die Lage, weil niemand die genaue Zahl der Ankömmlinge aus der Ukraine kennt geschweige denn registriert hat. Wie sollen Kommunen unter solchen Bedingungen die künftige Integration dieser Menschen vorbereiten helfen oder gar planen? Denn es ist wohl zu vermuten, dass viele der Ankömmlinge letztlich bleiben werden anstatt in zerstörte Heimatorte zurückzukehren. Freundliche Willkommensworte allein reichen ihnen nicht. Sie brauchen Wohnungen, Sprachkurse, Hilfen bei der Jobvermittlung und vieles mehr. Eine Verwaltung, deren Ausstattung „auf Kante genäht“ ist, kann dies unmöglich leisten.

 

Grundlegend modernisieren

 

Hier ist die Politik gefordert, Strukturen und Verfahren grundlegend zu modernisieren und zu digitalisieren. Eine Verwaltung, egal ob in der Großstadt oder im ländlichen Raum, muss in Ausnahmesituationen gleichsam vom Normalbetrieb auf einen Notfall-Modus hochgefahren werden können. Voraussetzung dafür ist dreierlei: ausreichend und gut qualifiziertes Personal, straffe Abläufe und - ganz wichtig - eine technisch hochmoderne Ausstattung. Doch leider sieht es in dieser Hinsicht vielerorts ähnlich düster aus wie aktuell bei der Bundeswehr: Jahrzehntelanges Sparen hat Spuren hinterlassen und kann nur durch systematisches Investieren ausgeglichen werden.

 

Dank zahlloser ehrenamtlicher Helfer lassen sich viele Herausforderungen am Ende doch noch meistern, wie etwa bei der Flutkatastrophe oder jetzt bei der Integration der Flüchtlinge. Gerade in ländlichen Gebieten funktioniert diese Form der Solidarität häufig gut. Aber sie darf auch nicht überstrapaziert werden. Ehrenamtliches Engagement ist zwar hoch respektabel. Aber es darf Politiker nicht dazu verleiten, sich aus ihrer Verantwortung für die Schaffung einer durchgehend leistungsfähigen Verwaltung zu stehlen. 

 


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