Ökopartei und Klimaschützer auf Kollisionskurs

Den Grünen droht eine innerparteiliche Zerreißprobe

Kinder halten ein Schild mit der Aufschrift „Fridays For Future“. (Symbolbild: Gerd Altmann)
Kinder halten ein Schild mit der Aufschrift „Fridays For Future“. (Symbolbild: Gerd Altmann)

 

Von Hugo Müller-Vogg

 

Mit dem Kampfeinsatz im Kosovo verloren die Grünen 1999 in der Regierung Gerhard Schröders ihr Prädikat „pazifistisch“. Mit Hartz IV 2005 war es dann vorbei mit dem „sozialen“ Anspruch. Und Putins Krieg könnte ihnen nun auch noch das Ökologische rauben. Was bleibt dann noch von den Grünen?

 

September 2021, es läuft die heiße Phase des Bundestagswahlkampfs. In München steigt Annalena Baerbock aufs Podium und ruft ins begeisterte Publikum: „Alle fürs Klima. Am 24.9. ist Klimastreik“. Die grüne Kanzlerkandidatin hatte gute Gründe, den zwei Tage vor der Bundestagswahl von „Fridays für Future (FFF)“ angesetzten „Streik“ zu unterstützen. Schließlich war das Ganze als Mobilisierungskampagne für die Grünen gedacht.

 

Am Freitag voriger Woche gingen wiederum viele Befürworter einer schnellen Energiewende auf die Straße. Als die Grünen via Twitter dazu aufriefen, sich zu beteiligen, konterten Frankfurter FFF-Aktivisten kühl an die Adresse der Grünen: „Wir demonstrieren nicht mit euch, sondern gegen euch. Nur so zur Info." Um kurz darauf gegen die beiden anderen Ampel-Parteien nachzulegen: „So, da wir jetzt erfolgreich die Grünen begraben haben, gehts morgen raus zum Klimastreik um der SPD und FDP in den Arsch zu treten.“

 

„Fridays for Future“ auf Distanz zu den Grünen

 

Nun hat sich „Fridays for Future“ niemals hundertprozentig zu den Grünen bekannt. Ebenso wenig gab es bei der Bundestagswahl einen Wahlaufruf zugunsten der Ökopartei. Gleichwohl stand die FFF-Bewegung im Wahljahr den Grünen näher als jeder anderen Partei. Luisa Neubauer, ihr prominentester Kopf in Deutschland, ist Parteimitglied. Jakob Basel, der ebenfalls zu den bekanntesten FFF-Kämpfern zählt, kandidierte – wenn auch erfolglos – auf dem Ticket der Grünen für den Bundestag. Wer also „Fridays for Future“ neben Greenpeace als eine weitere Vorfeldorganisation der Grünen einstufte, lag nicht falsch.

 

Inzwischen ist das Verhältnis der jungen Klimaschützer und der Ökopartei nachhaltig gestört. Die klimapolitischen Ziele im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien gehen FFF nicht weit genug. Schlimmer noch: Ausgerechnet Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck macht aus FFF-Sicht derzeit alles falsch, was man nur falsch machen kann: Einen Erdgasdeal mit Katar darf es nach Meinung von Neubauer & Co. ebenso wenig geben wie der geplante Import von Fracking-Gas aus den USA.

 

Enddatum für Öl und Gas gefordert

 

Die rot-grün-gelbe Bundesregierung ist nach Kräften bemüht, die deutsche Rohstoffabhängigkeit von Russland zu verringern, ohne die deutsche Wirtschaft abzuwürgen. Dagegen ist der „fossile Krieg“ Putins für FFF Anlass, eine viel schnellere Klimawende zu verlangen. So fordert Carla Reemtsma von FFF, die Ampel müsse jetzt den Import von russischer Energie stoppen und ein Enddatum für Öl und Gas festlegen. „Nur so kann sie bestehende Abhängigkeiten von Autokraten beenden, gleichzeitig darf sie, wie in Katar, keine neuen eingehen.“

 

„Fridays for Future“ versteht sich als außerparlamentarische Opposition, kann also, fordern was sie will, und trägt keinerlei Verantwortung für das, was politisch geschieht. Wahrscheinlich stünden die Grünen voll und ganz an ihrer Seite, wenn in Berlin eine schwarz-rote oder rot-schwarze Koalition regierte. Die Grünen sind aber nun mal in eine Koalitionsregierung eingebunden und machen eine für ehemalige Oppositionsparteien häufig unbequeme Erfahrung: das Rendezvous mit der Wirklichkeit. Der daraus resultierende Zwang zur Realpolitik steht dann oft in deutlichem Widerspruch zu den eigenen ehernen Grund- und Glaubenssätzen.

 

Kriegseinsatz im Kosovo hätte die Grünen fast zerrissen

 

Als die Grünen vor mehr als vier Jahrzehnten zum Marsch durch die parlamentarischen Institutionen aufbrachen, trugen sie vier Grundsätze wie eine Monstranz vor sich her: ökologisch, gewaltfrei, sozial, basisdemokratisch. Als sie dann 1998 zusammen mit den Sozialdemokraten zum ersten Mal im Bund regierten, war es mit dem Postulat der Gewaltfreiheit schnell vorbei. Ausgerechnet Rot-Grün schickte zum ersten Mal seit 1949 deutsche Soldaten in einen Krieg – ins Kosovo. Es hätte die Partei fast zerrissen.

 

Mit der basisdemokratischen Herrlichkeit der sich anfangs als „Anti-Partei“ verstehenden Grünen war es schon lange vorher vorbei gewesen. Im politischen Alltag mussten sie schnell lernen, dass eine Partei sich nicht von zufälligen Mehrheiten auf Mitglieder-Vollversammlungen abhängig machen kann, jedenfalls dann nicht, wenn man als verlässlicher Koalitionspartner in Kommunen und Ländern gelten will. So wurde aus der neuartigen recht schnell eine ganz normale Partei – ohne Rotation von Abgeordneten, mit einem Delegiertensystem und Sitzungen hinter verschlossenen Türen. Wie Annalena Baerbock und Robert Habeck im vergangenen Jahr die Kanzlerkandidatur allein unter sich ausmachten – mehr Basisferne geht eigentlich nicht.

 

Ökologischer Umbau wurde zum Markenkern

 

Als Koalitionspartner der SPD konnten die Grünen dem „Sozial-Etikett“ nicht mehr gerecht werden. Was heute vielfach vergessen ist: Die inzwischen von den Grünen heftig kritisierte „Agenda 2010“ und die „Hartz-Gesetze“ waren ein rot-grünes Projekt. Dabei war der Widerstand gegen „Hartz IV“ an der SPD-Basis deutlich stärker als bei den Grünen. Bei den von Gerhard Schröder auf den Weg gebrachten größten Steuersenkungen, derer sich Unternehmen und Besserverdienende jemals erfreuen durften, waren die grünen „Sozialpolitiker“ ebenso mit von der Partie.

 

Ihrem eigenen Anspruch, eine ökologische Politik zu verfolgen, wurden die Grünen hingegen gerecht. Wie immer man zu einzelnen Maßnahmen auch stehen mag: Der von Rot-Grün beschlossene Ausstieg aus der Kernkraft war ein Meilenstein deutscher Politik. Das trifft auch auf das „Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)“ aus dem Jahr 2000 zu. Klimapolitik stand bei den Grünen nicht nur auf Programmpapier; der ökologische Umbau wurde zum alles andere dominierenden Markenkern. So hätte es auch weitergehen sollen, gerade in der neuen Ampel-Koalition. Doch dann überfiel Putin die Ukraine.

 

Kohleausstieg verschieben? Fracking-Gas importieren?

 

Das Dilemma der Grünen ist unübersehbar. Der brutale Völkermord an den Ukrainern drängt eigentlich jeden Politiker in die Defensive, der es noch vor ein paar Monaten kategorisch abgelehnt hat, dem bedrohten Land defensive Waffen zu liefern. Habeck jedenfalls hatte sich im Sommer letzten Jahres dafür ausgesprochen, wurde aber von der eigenen Kanzlerkandidatin und dem restlichen Parteiestablishment zurückgepfiffen. Da war nochmals das Postulat der „Gewaltlosigkeit“ aufgeflackert. Das 100-Milliarden-Programm für die Bundeswehr und das Zwei-Prozent-Ziel tragen die Regierungsgrünen inzwischen klaglos mit. Die Einsprüche aus der „Fundi“-Ecke halten sich bisher in Grenzen.

 

Viel gefährlicher als ihre sicherheitspolitische Realpolitik könnte für die Grünen dagegen die notgedrungene Abkehr oder zeitliche Verschiebung von klimapolitischen Zielen werden. Der „idealerweise“ für 2030 angestrebte Ausstieg aus der Kohle erscheint illusorisch. Deals mit den die Menschenrechte missachtenden Kataris oder die nicht nur kurzfristig geplante Einfuhr von „schmutzigem“ Flüssiggas werden nicht allein bei „Fridays for Future“, sondern auch an der eigenen Basis noch für heftigem Widerspruch führen.

 

Es droht eine innerparteiliche Zerreißprobe

 

Zur innerparteilichen Zerreißprobe würde es kommen, falls die Ampel-Koalition ernsthaft eine Laufzeitverlängerung der sich noch in Betrieb befindlichen letzten drei Kernkraftwerke in Betracht zöge. Hier laviert Habeck. Mal schließt er dies kategorisch aus, mal ist er für eine „ideologiefreie“ Prüfung. Beim Thema Gasimporte hat sich Habeck in den letzten vier Wochen erstaunlich unideologisch und pragmatisch gezeigt. Genau darauf bauen die Befürworter längerer Laufzeiten – und genau das treibt grünen „Fundis“ den Angstschweiß auf die Stirn.

 

Die Regierungsgrünen haben angesichts der russischen Herausforderung verantwortungsbewusst gehandelt, mehr staatsmännisch als parteipolitisch. Dass „Fridays for Future“ ihnen deshalb gram ist, können sie verschmerzen. Der Einfluss dieser Aktivisten ist, wie das glänzende Abschneiden der FDP bei den Jungwählern zeigt, in den Medienhäusern offensichtlich größer als bei jungen Leuten. Dennoch laufen die Grünen Gefahr, dass nach gewaltfrei, sozial und basisdemokratisch auch das Label ökologisch verblassen könnte. Das könnte für die Ökopartei zum Gau werden – mit unabsehbaren Folgen. 

 


Unser Gastautor
 
Dr. Hugo Müller-Vogg, ehemaliger F.A.Z.-Herausgeber, zählt zu den erfahrenen Beobachtern des Berliner Politikbetriebes. Als Publizist und Autor zahlreicher Bücher analysiert und kommentiert er Politik und Gesellschaft. 
www.hugo-mueller-vogg.de und www.facebook.com/mueller-vogg

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