Das Ende der Öko-Träume

Das wirkliche Leben verlangt derzeit reichlich Realitätssinn von der Politik. Vor allem von den Grünen, auch vom Landwirtschaftsminister

Braunkohle-Kraftwerk Niederaußem in NRW (Symbolbild: Benita Welter)
Braunkohle-Kraftwerk Niederaußem in NRW (Symbolbild: Benita Welter)

 

Von Michael Lehner

 

Wer ahnte noch vor wenigen Wochen, dass SPD und Grüne eine massive Aufrüstung der Bundeswehr betreiben werden? Dass sich die Außenministerin zu deutlichen Worten an die Adresse Moskaus gezwungen sieht? So deutlich, wie sie die Deutschen seit Jahrzehnten von keiner Regierung gehört haben.

 

Aber nicht nur bei der Außen- und Sicherheitspolitik trifft die Wirklichkeit die Ampelkoalition in bisher sicher geglaubten Prinzipien. Der drohende Kollaps der Energieversorgung drängt den Grünen Fragen nach dem Fortbestand von Kernkraft und Kohlekraftwerken auf. Und drohende Hungersnot stellt ihren Landwirtschaftsminister vor die Gewissensentscheidung, ob sichere Versorgung mit Nahrungsmitteln am Ende wichtiger ist als Öko-Umbrüche in der Landwirtschaft.

 

Im Eilverfahren heilige Kühe geschlachtet

 

Agrarminister Cem Özdemir wird in solcher Situation seinem Ruf als Super-Realo gerecht. Der Schwabe schlachtet im Eilverfahren heilige Kühe wie die „Ökologischen Vorrangflächen“, die der Lebensmittelproduktion entzogen werden, um der Natur mehr Platz zu lassen. Im Angesicht des Getreidemangels, der dem Globus droht, hat offenbar doch das Bedürfnis Vorrang, Leid von den Menschen abzuwenden.

 

Sogar den in weiten Teilen der Klima- und Veganer-Szene verhassten Schweinebauern will Özdemir unter die Arme greifen. Erst mal mit Erleichterungen im Formular-Dschungel zur Auszahlung der Corona-Hilfen. Dies, nachdem die akute Not der Züchter und Mäster kaum eine Rolle spielte, bis in der Ukraine die ersten Raketen flogen.

 

In der Not scheint es, ist auch der amtierenden Regierung das Hemd näher als der Kittel. Das ist gut so und beruhigt Pessimisten, die den Grünen bisher viel zugetraut haben, außer einer vernünftigen Agrarpolitik. Fragt sich nur, ob der Wandel anhält, wenn die Kanonen wieder schweigen. Und ob absurde Ideen wie der Einsatz von Lebensmitteln zur Energiegewinnung dort bleiben, wo sie hingehören: Im Mülleimer der verqueren Weltsicht, die sich überbietet mit Schuldzuweisungen an die Menschheit.

 

Schmerzhafte Lernprozesse auch bei Konservativen

 

Schmerzhafte Lernprozesse haben allerdings nun auch jene Konservativen zu bewältigen, die „grüne“ Ideen grundsätzlich für Teufelswerk halten. Der Kampf gegen Windmühlen und andere Formen der nachhaltigen Energieerzeugung ist aus heutiger Sicht eher Buben- als Gesellenstück. Auch deshalb, weil der Widerstand gegen Bürger-Kraftwerke den ländlichen Raum um große Chancen brachte und den Hightech-Standort Deutschland im Bereich der Erneuerbaren zunehmend lähmte.

 

Politiker, die lieber die Erpressbarkeit durch Gas- und Öl-Lieferanten förderten als sich der Debatte um Luxusprobleme wie der Strahlenbelastung durch Überlandleitungen zu stellen, stehen jedenfalls nun nicht besser da als die Konkurrenz, die den Wählern das vegane Paradies der glücklichen Kühe versprach.

 

Verstehen, dass der Krieg mehr Kohlendioxid und Feinstaub freisetzt als die Schar der Pendler, die das Steuergeld für eine bessere Welt verdienen muss, gehört zum Realitätssinn, der plötzlich wieder eine Chance hat. Nicht neu, aber lange verdrängt in den Träumen vom Wolkenkuckucksheim der Verheißungen im Paradies auf Erden.

 


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