Auch Agrarpolitik auf den Prüfstand

Der russische Angriff auf die Ukraine muss zum Umdenken in allen Bereichen führen
Ein Weizenfeld mit Windkraftanlagen im Hintergrund (Symbolbild: Michael Strobel)
Ein Weizenfeld mit Windkraftanlagen im Hintergrund (Symbolbild: Michael Strobel)

 

Von Jürgen Wermser

 

Zu Recht sprach Olaf Scholz im Bundestag wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine von einer sicherheitspolitischen Zeitenwende. Folgerichtig will der Kanzler die Bundeswehr massiv aufrüsten. Doch dies reicht nicht. Alle Politikbereiche müssen angesichts des Moskauer Vorgehens auf den Prüfstand. Dazu gehört auch die Agrarpolitik: Stimmen hier noch die langfristigen Prioritäten?

 

Skepsis ist angebracht, denn in den vergangenen Jahren hat das Kriterium Klima- und Umweltverträglichkeit den Aspekt Versorgungssicherheit weit in den Hintergrund gedrängt. Flächenstilllegungen, weniger Nutztiere, strengere Düngevorgaben und entsprechend geringere Erträge hießen die Parolen. Die Auswirkungen schienen für die Befürworter kein ernsthaftes Problem sein. Alles bloß eine Frage des Geldes. Man könne ja als reiches Deutschland bei Engpässen fast beliebig auf dem Weltmarkt dazukaufen - eine schon immer zynische, mittlerweile aber auch sicherheitspolitisch gefährliche Haltung. Denn der Ukrainekrieg hat nicht nur auf dem Energiesektor heikle, ja riskante Abhängigkeiten aufgezeigt.

 

Landwirtschaft zum Erliegen gekommen

 

Die Landwirtschaft in der Schwarzmeerregion – die „Kornkammer Europas“ – ist praktisch zum Erliegen gekommen, weil die Arbeitskräfte statt auf den Acker in den Krieg ziehen, Produktionsflächen verwüstet oder mit Kampfmitteln verseucht, Straßen, Schienen und Häfen beschädigt oder zerstört werden. Das hat Folgen weltweit. Immerhin kamen bislang rund zwölf Prozent der globalen Weizenexporte aus der Ukraine und zusätzlich 17 Prozent aus Russland - alles Werte vor der „Zeitenwende“, sprich dem aktuellen Krieg im Osten des Kontinents.

 

Nun drohen auf längere Zeit große Engpässe und Lieferausfälle. Die Preise steigen entsprechend, für eine Tonne Weizen binnen vier Wochen um gut ein Drittel. Hinzu kommen infolge des Kriegs drastisch höhere Dünger- und Treibstoffkosten. Sozial Benachteiligte hierzulande und insbesondere Millionen arme Menschen in der Dritten Welt sind hart betroffen. Denn sie können die gestiegenen Preise für Lebensmittel nicht oder kaum noch bezahlen.

 

Deutschland ist zwar bei Getreide praktisch Selbstversorger, Russland und die Ukraine haben überwiegend nach Nordafrika und Südostasien exportiert. Dort fallen diese Lieferungen nun weg, und günstige Alternativen sind für diese weniger wohlhabenden Länder auf dem Weltmarkt kaum zu bekommen. In vielen Regionen droht daher noch mehr Hunger. Und in einer solchen Situation des Mangels an Nahrungsmitteln soll die Produktivität der deutschen und europäischen Landwirtschaft künstlich gedrosselt werden?

 

Für Kriegs- und Krisenzeiten wappnen

 

Ausreichende Ernährung ist ein Menschenrecht - hierzulande genauso wie in der Dritten Welt. Die Agrarpolitik muss dem Rechnung tragen. Dazu gehört auch ein möglichst hoher Grad an Selbstversorgung durch die eigene, sprich europäische Landwirtschaft, um für eventuelle Krisen- und Kriegszeiten gewappnet zu sein. Und um Hungernden in aller Welt direkt oder indirekt helfen zu können.

 

Gewiss, Umweltschutz und der Kampf gegen den Klimawandel bleiben für Deutschland weiterhin existenziell. Doch dürfen dabei soziale Aspekte und das Beseitigen von Hunger weltweit nicht vernachlässigt werden. Auch hier müssen die Prinzipien Solidarität mit den Ärmeren und Vorsorge gelten. Denn wie unerwartet und dramatisch sich Dinge zum Negativen wandeln können, zeigen momentan ja die schrecklichen Ereignisse in der Ukraine…

 


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