Viel Arbeit für Ungelernte

In Deutschland werden nicht nur Fachkräfte und Hochqualifizierte gesucht. Auch für einfache Tätigkeiten fehlen immer häufiger Bewerber

Lagerarbeiter schiebt eine Palette vor sich her (Symbolbild: iStock/shironosov)
Lagerarbeiter schiebt eine Palette vor sich her (Symbolbild: iStock/shironosov)

 

Von Jürgen Wermser

 

Die Experten sind sich einig: Deutschland droht ein Fachkräftemangel, der Wachstum und Wohlstand langfristig gefährdet. Schon jetzt klagen Industrie, Handwerk und fast alle anderen Branchen, dass ihnen der berufliche Nachwuchs ausgeht. Das gilt für Städte und den ländlichen Raum gleichermaßen. Und Besserung ist angesichts des demographischen Wandels - mehr Ältere und weniger Jüngere - auf absehbare Zeit nicht zu erwarten.

 

Die Politik und auch die neue Ampelkoalition sind sich der Dringlichkeit des Themas mittlerweile bewusst. So weit so gut. Doch hinter dem Fachkräftemangel verbirgt sich noch eine weitere, oft übersehene Herausforderung: Die immer erfolglosere Suche nach Ungelernten, die einfache aber wichtige Jobs in Firmen, Hotels, Gastronomie, Lieferdiensten oder auch Privathaushalten übernehmen. So sagte etwa der Geschäftsführer der Zur-Mühlen-Gruppe kürzlich gegenüber der Zeitung „Die Welt“, dass man gerne und sofort Hunderte Ungelernte einstellen könne, die einfache Tätigkeiten in einem angenehmen Arbeitsumfeld übernehmen würden. Und das Blatt zitiert einen Berliner Arbeitsmarktforscher mit dem Satz: "Die Beschäftigung ist in den Helfertätigkeiten in den letzten zehn Jahren rund doppelt so stark gewachsen wie die Beschäftigung in den Fachkrafttätigkeiten. Ähnliches gilt für die Experten- und Spezialistentätigkeiten.“

 

Die Löhne steigen

 

Die erhöhte Nachfrage schlägt sich auch im Preis - sprich Lohn - nieder. Ein Beispiel aus dem Norden: Laut Bremer „Weser-Kurier“ zahlt Amazon an seinem neuen Standort Achim einen Stundenlohn von zwölf Euro und will ihn zum Herbst auf 12,50 Euro erhöhen. Der Lebensmittelhändler Rewe suche für seinen Lieferdienst Fahrer und zahle laut Stellenanzeige bis zu 14 Euro pro Stunde, so das Blatt weiter. Auch in anderen Städten wie beispielsweise Köln würden die Lieferdienste um Essens- und Lebensmittelkuriere konkurrieren. Dort liege der Lohn deutlich über zwölf Euro. Und Lieferando habe mitgeteilt, dass der Basisstundenlohn auch in Bremen seit Jahresanfang auf elf Euro gestiegen sei.

 

Das bedeutet: Ohne eine gezielte Zuwanderung in den Arbeitsmarkt dürfte sich der Mangel auch an ungelernten Hilfskräften dauerhaft kaum lösen lassen. Denn hier geht es um Jobs, für die kaum oder zu wenige Bewerber mit deutschem Pass zur Verfügung stehen - aus welchem Gründen auch immer. Entscheidend bleibt jedoch, dass diese notwendige Zuwanderung nicht mit der hochemotionalen Flüchtlings- und Asyldebatte vermischt und damit politisiert wird. Hier geht es ausschließlich um legale Wege nach Deutschland, nicht um eigenmächtige Grenzübertritte wegen wirtschaftlicher Not, Flucht oder Vertreibung.

 

Zuwanderung stark eingeschränkt

 

Die Europäische Union garantiert Freizügigkeit für ihre Bürger, doch es werden auch Beschäftigte von außerhalb der EU benötigt. In Deutschland ist dies bislang kaum zu organisieren. So kann die Bundesagentur für Arbeit (BA) nur bis zu 25.000 Bürgern aus Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien jährlich – unabhängig von ihrer Qualifikation – die Einreise zur Arbeit nach Deutschland ermöglichen. Voraussetzung sind ein Arbeitsvertrag und die Beantragung des Aufenthaltstitels im Herkunftsland. Bislang gibt es keine Anzeichen, dass die Ampelregierung diese Westbalkan-Regelung über das Jahr 2023 hinaus verlängern oder großzügig auf andere Regionen ausweiten will.

 

Einen grundsätzlich anderen Weg geht Schweden. Dort können seit 2008 Firmen weltweit Arbeitskräfte anheuern; wer einen Arbeitsvertrag mit einem Gehalt auf schwedischem Niveau vorweisen kann, darf kommen. Dieses System richtet sich nicht in erster Linie an gering- und mittelqualifizierte Arbeitskräfte, ist aber für diese durchlässig, solange auf dem schwedischen Arbeitsmarkt eine entsprechende Nachfrage besteht.

 

Modell ohne viel Bürokratie

 

Der große Vorteil dieses arbeitgeberorientierten Systems ist: Wenig Bürokratie, und es kommen nur diejenigen, die tatsächlich gebraucht werden. Entsprechend gering ist der populistische Konfliktstoff. Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration zieht dazu im Jahr 2019 eine positive Bilanz: „Nach einem Jahrzehnt stellt Schwedens Gesetz tatsächlich ein seltenes Beispiel für politischen Konsens im Bereich der Migration dar. Erwerbsmigration und das Anwerben gering- und mittelqualifizierter Arbeitskräfte im Ausland waren keine Diskussionsschwerpunkte im schwedischen Wahlkampf 2018, obwohl Migrations- und Asylpolitik auch in Schweden strittige Themen sind.“

 

Könnte das ein Modell für Deutschland sein? Die neue Ampelkoalition sollte es zumindest wohlwollend prüfen…


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