Lehrer gesucht

Der akute Mangel an Lehrkräften trifft den ländlichen Raum besonders stark

Eine Lehrerin trägt eine Gesichtsmaske, während sie eine Schülerin während eines Unterrichts im Klassenzimmer unterstützt (Symbolbild: iStock/Drazen Zigic)
Eine Lehrerin trägt eine Gesichtsmaske, während sie eine Schülerin während eines Unterrichts im Klassenzimmer unterstützt (Symbolbild: iStock/Drazen Zigic)

 

Von Wolfgang Molitor

 

Der Rat des baden-württembergischen Kultusministeriums an die angehenden Lehrkräfte, sich früh auf ausgeschriebene Stellen zu bewerben, war dringlich: „Lassen Sie sich auf den ländlichen Raum mit seinen Vorzügen ein!“ Denn junge Studienabsolventen dafür zu gewinnen, sich abseits der großen und mittleren Städte niederzulassen, ist nach wie vor nicht einfach. Längst glauben neue Lehrer- und Lehrerinnen, sich angesichts der großen Nachfrage ihre Stellen aussuchen und abwarten zu können, wo ein urbanes attraktives Umfeld vorherrscht.

 

Der ländliche Raum stößt da oft auf Ablehnung. Mit den üblichen Problemen: eingeschränkter Öffentlicher Personennahverkehr, mangelnde kulturelle Angebote, entkerntes soziales Umfeld bei Geschäften und Lokalen. Und dass die Miete im ländlichen Raum deutlich günstiger ist, gehört ebenfalls immer öfter zu den alten Fabeln. Zumindest fressen die Kosten für Auto und Fahrten die eingesparte Mietdifferenz schnell wieder auf.

Der akute Lehrermangel trifft den ländlichen Raum besonders stark. Erst recht mit, aber nicht allein wegen Corona. Gerade Grund- und Förderschulen, die auf dem Land noch halbwegs gut vertreten sind, klagen seit Jahren über massiven Lehrermangel. Quereinsteiger und reaktivierte Pensionäre können die Löcher nicht stopfen.

 

Bildungsforscher Klaus Klemm schlägt Alarm

 

Noch gibt man sich in den Kultusministerien der Länder betont gelassen. Doch der Essener Bildungsforscher Klaus Klemm schlägt Alarm. Im Auftrag des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) hat er untersucht, wie belastbar die ministeriellen Lehrermarkt-Prognosen für die Jahre 2020 bis 2030 sind. Ergebnis: Bereits 2025 werden Klemms Berechnungen zufolge 45.000 Lehrer an den Schulen fehlen - mehr als doppelt so viele, wie von der Kultusministerkonferenz (KMK) kalkuliert. Für 2030 sieht Klemm sogar eine Lücke von 81.000 Personen, fast sechs Mal so groß wie von der Politik vorhergesagt.

Dazu kommt, dass es Klemm zufolge zu wenig Lehrkräfte geben wird. Während die KMK davon ausgeht, dass zwischen 2020 und 2030 knapp 350.000 neu ausgebildete Lehrkräfte zur Verfügung stehen werden, prognostiziert Klemm mehr als 60.000 weniger, weil die Zahl der Schulabsolventen ebenso wie die Zahl der Studierenden im Lehramt sinkt. Am Geld dürfte das nicht liegen. Laut einer OECD-Studie liegt in Deutschland das Gehalt von Lehrenden am Gymnasium und an Berufsschulen bei knapp 76.500 Euro im Jahr, rund 24.000 Euro mehr als im Durchschnitt in anderen Ländern. Doch der Lehrerberuf verliert trotzdem an Attraktivität. Viele fühlen sich ausgebrannt. Einige wollen nur noch halbe Stellen. Tausende schaffen den Präsenzunterricht nicht mehr. Und der berufliche Aufstieg zum Schulleiter wirkt angesichts steigender Anforderungen oft wenig verlockend.

 

Immer mehr Aufgaben für Lehrkräfte

 

Lehrer werden so zur Mangelware – und das vor der Hintergrund, dass auf künftige Lehrkräfte immer mehr Aufgaben zukommen, die von den Ministerprognosen nicht abgedeckt sind – etwa der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder. Von 2026 zunächst für Erstklässler, bis 2029 für alle Grundschüler. Also für Schulen, die im ländlichen Raum noch dominieren. Klemm rechnet dafür mit fast 20.000 Stellen bis 2030, die in der Statistik nicht auftauchen. Von zusätzlichen Stellen für die Inklusion und Brennpunktschulen ganz zu schweigen. Das alles legt die Vermutung nahe, dass sich die Situation auf dem Lehrermarkt in den nächsten acht Jahren nicht entspannen wird. Vor allem in den sogenannten Mint-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) sind die Versorgungslücken groß. Der Klemm-Studie zufolge wird es etwa in Nordrhein-Westfalen nur für ein Drittel der neu zu besetzenden Mint-Stellen voll ausgebildete Bewerber geben.

 

Wie nicht zuletzt die Schulen im ländlichen Raum abseits der großen Zentren davon betroffen sein werden, ist noch nicht klar. Doch sie dürfen nicht zu den Verlierern gehören. Städte und Gemeinden müssen deshalb in ihrer Schulpolitik vor Ort schnell handeln. Und ihr Umfeld für junge Lehrer und Lehrerinnen attraktiv halten. 

 


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