Die Scholz-Ampel und ihre Lieferschwierigkeiten

Der politische Rollenwechsel verläuft nicht so glatt, wie sich das viele noch im letzten Herbst gewünscht haben

Bundeskanzler Scholz mit den Bundesministerinnen und Bundesministern (Foto: Bundesregierung/Denzel)
Bundeskanzler Scholz mit den Bundesministerinnen und Bundesministern (Foto: Bundesregierung/Denzel)

 

Von Jost Springensguth

 

Merkel-Müdigkeit oder vermeintlicher politischer Stillstand, der verbreitet an der Großen Koalition festgemacht wurde, waren Treiber einer Wechselstimmung, die zu dem Ergebnis geführt hat, das wir nun in Form der Ampel haben. Das war ein anständig verlaufener demokratischer Prozess, der für diese Legislaturperiode seine Gültigkeit hat. Doch der politische Rollenwechsel verläuft nicht so glatt, wie sich das sowohl die in Berlin nun Handelnden als auch erwartungsfrohe Wählerinnen und Wähler noch im letzten Herbst gewünscht haben.

 

Olaf Scholz oder Armin Laschet war die K-Frage, die übrigblieb, nachdem sich Annalena Baerbock als mögliche Regierungschefin selbst aus dem Rennen geschossen hatte. Es ging auch nicht darum, wer von den beiden verbliebenen Kanzlerkandidaten charismatischer ist oder mehr Ausstrahlungskraft hat. Ausschlaggebend war der verbreitete Wunsch nach Veränderung. Das bedeutet: viele Menschen wollten und wollen immer noch, dass ein Ruck durchs Land geht und die Ampel als Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit in Deutschland viele Schalter auf Tempo und Fortschritt stellt. Doch statt Ruck, ruckelt es dabei noch.

 

Zu viele Themen gleichzeitig auf der Tagesordnung

 

Dass das wiederum in unserem Land mit seinem weit verbreiteten Wohlstand und bei seinem gleichzeitig zunehmenden sozialen Gefälle innen-, sozial- und wirtschaftspolitisch immer komplizierter wird, wird bei allem Elan der neuen Regierung in der Praxis der ersten Wochen zunehmend sichtbarer. Und für viele spürbar – Beispiel: Häuslebauer. Da werden zu viele Themen gleichzeitig aufgerufen, die das Neue im Koalitionsvertrag ausmachen sollen. Das gilt allemal ebenfalls in der Außen-, Europa- und Klimapolitik für unser Land mit seinem besonderen geschichtlichen Hintergrund und den auseinanderlaufenden Partikularinteressen in Europa. Dieser Zusammenhang gehört zu einer inhaltlichen Bestandsaufnahme nach den knapp ersten beiden Regierungsmonaten von SPD, Grünen und FDP. Alle, die neu auf der Regierungsbank sitzen, wollen Gas geben. Dabei werden Bremsen wirksam, auf die in ihrer Findungsphase noch nicht einmal die Opposition tritt, sondern sie greifen, weil viele Dinge nun einmal nicht laufen, wie erwartet.

 

Ein Gang durch die Baustellen

 

Da sind wir automatisch bei den laufenden Baustellen, die zum Teil auch zum Regierungserbe der Vorgänger gehören. Da ist zunächst einmal die Pandemie. Sie läuft nicht nur weiter, sie rennt. Wahrscheinlich wäre der Bundeskanzler besser beraten gewesen, weder eine bis März durchgesetzte Impfpflicht verkündet zu haben noch das Ziel auszugeben, dass bis Ende Januar 80 Prozent der Deutschen ihre Erstimpfung im Arm haben. Die Westfälischen Nachrichten titeln etwa: „Scholz verfehlt Impfziele deutlich“. Sein Gesundheitsminister ist sicher ein anerkannter Wissenschaftler, doch dass die Neuregelung des sogenannten Genesenen-Status vom RKI an ihm einfach vorbeiläuft, schafft kein Vertrauen als Chef eines großen Hauses.

 

Von den Vorgängern geerbt oder nicht geerbt: Jedenfalls war der frühere Finanzminister Scholz dabei, als sicher auch aus wahltaktischer Überlegung heraus zusammen mit Wirtschaftsminister Altmaier die Förderung energieeffizienter Neubauten unter dem wirksamen Programm-Titel „Effizienzhaus“ aufgelegt wurde. Altmaiers Nachfolger Habeck treibt weiterhin Maßnahmen gegen den Klimawandel voran und war so in den letzten zwei Monaten Beschleuniger des Programms. Das musste er nun ohne Vorwarnung stoppen, weil die Töpfe bei der Förderbank plötzlich leer wurden. Zusammen mit dem neuen Finanzminister von der FDP wird jetzt hektisch nach Wegen gesucht, wenigstens die vorliegenden Förderanträge noch zu genehmigen. Jetzt, so ist zu hören, soll das wenigstens für Anträge möglich werden, die bis zum 24. Januar gestellt sind. Da gehen dann immer noch viele Bauherren (zunächst?) leer aus. Insgesamt gilt damit auch für diesen Komplex: administrative Fehlleistung.

 

Der Versuch mit der EEG-Umlage

 

Eine weitere Baustelle ohne klare Aussicht auf wirksame Lösung ist nun der Versuch, die EEG-Umlage ein halbes Jahr früher auslaufen zu lassen als bisher vorgesehen. Angesichts der galoppierenden Energiepreise als Inflationstreiber und der desaströsen Auswirkungen sollen Privathaushalte und Kleinunternehmer, die von der Umlage betroffen sind, möglichst schnell davon befreit werden. Wegen der volatilen und damit nicht mehr verlässlich kalkulierbaren Entwicklung der Kosten - etwa für Strom, Gas, Benzin und Diesel - können Habeck und Lindner eine vorzeitige Entlastung nicht sicher planen. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung würde nach derzeitigem Stand eine vorgezogene EEG-Streichung den Staatshaushalt mit rund zehn Milliarden Euro belasten. 

 

Dann waren da noch Ankündigungen zum radikalen Umbau der Landwirtschaft und zur Lebensmittelerzeugung durch Cem Özdemir, die mit nebulösen Zielankündigungen und ohne konkrete Maßnahmen bei den Betroffenen nicht nur für Unsicherheit sorgen, sondern etwa in der Nutztierhaltung schon zu Verwerfungen mit Produktionsaufgaben führen.

 

„Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch“

 

Vielleicht hätten die Koalitionäre sich für den Titel ihres Vertrages statt „Fortschritt wagen“ besser für das Wort „planen“ entschieden. Das steht für mehr Verlässlichkeit und Sicherheit. Dazu gehört natürlich auch die Führungsstärke des Bundeskanzlers, die das durchsetzt. Die zitierten Westfälischen Nachrichten attestieren ihm (auch mit Blick auf die Ukraine-Krise) „Falsche Verzagtheit“. Dazu zitiert die Zeitung sein Wahlversprechen: „Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch“.

 


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