Tiefe Einschnitte bei kleinen Krankenhäusern

Das hohe Lied von der guten medizinischen Allgemeinversorgung im ländlichen Raum bekommt zunehmend Misstöne

Arzt in einem Krankenhaus (Symbolbild: Tung Nguyen)
Arzt in einem Krankenhaus (Symbolbild: Tung Nguyen)

 

Von Wolfgang Molitor

 

Die Wege werden immer weiter. Wenn die ab 2025 vom Gemeinsamen Bundesausschuss (BGA) – einem Organ der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen – beschlossenen Mindestmengen bei Lungen- und Brustkrebsoperationen greifen, wird vor allem für viele Frauen im ländlichen Raum die Fahrt zum nächsten Klinikum umständlicher.

Die Lage: Brustkrebsoperationen sollen nur dann noch vergütet werden, wenn davon 100 im Jahr durchgeführt werden. Bei Lungenkrebs liegt die Zahl bei 75. In der Praxis bedeutet das: Von den bundesweit 732 Krankenhäusern, an denen    chirurgische Eingriffe bei Brustkrebs vorgenommen wurden (Stand 2019) dürfte sich dann das Angebot auf 355 Standorte verringern. Bei Lungenkrebs voraussichtlich von 328 auf 90.

 

Landbewohner fallen durch das Raster

 

Gerade im ländlichen Raum hat das erhebliche Auswirkungen. Zwar präsentiert der GBA Modellrechnungen, wonach sich die Fahrzeiten für Patientinnen und Patienten nur im Minutentakt verlängern würden – im Durchschnitt von 15 auf 18 Minuten (Brustkrebs) und 20 auf 31 Minuten (Lungenkrebs). Doch da sind die Städte mit eingerechnet. Im Alltag dürften andere Zeiten gelten, wenn die nächste Stadt mit einem großen Krankenhaus weiter entfernt ist. Kurzum: Landbewohner fallen durch das Raster.

 

Denn oft sind die Brustkrebspatientinnen über 75. Sie wünschen sich wegen ihres hohen Alters und Vorerkrankungen meist keine komplexe onkologische Systemtherapie oder aufwendige plastische Rekonstruktion. Die Chefärztin des Klinikums Hochrhein in Waldshut (Baden-Württemberg) rechnet bei einer Streichung der dort vorgenommenen 30 bis 50 OPs im Jahr jedenfalls anders als der GBA. Ihrer Einschätzung nach liegen die nächstgelegenen Brustzentren 55 bis 120 Kilometer entfernt. Zumutbar? Wenn im Umfeld der Operation ja auch noch Vor- und Nachsorgeuntersuchungen folgen?

 

Mangel auch an Fachärzten

 

Das hohe Lied von der guten medizinischen Allgemeinversorgung im ländlichen Raum hat damit weitere Misstöne. Denn Fachärzte fehlen in vielen Regionen. Das heißt: oft verspätete Diagnose und Behandlung. Unbestritten: Es gibt einen wissenschaftlich belegten Zusammenhang zwischen Routine und Behandlungsergebnissen, erst recht bei den sogenannten komplexen Operationen. Aber eine von der GBA behauptete flächendeckend hochwertige Versorgung sieht bei den genannten OP-Vorgaben wohl anders aus.

 

Besser wäre es deshalb, vorsichtig bei 50 bis 60 Operationen als Mindestmenge zu beginnen und nach einem gewissen Zeitraum die Lage anhand konkreter Vorgänge und ihrer Folgen zu bewerten. Weil sonst der Eindruck entsteht, Sparmaßnahmen auf dem Rücken der ländlichen Regionen voranzutreiben. Was letztlich bedeutet: auch im Gesundheitswesen eine Strukturbereinigung durch die kalte Küche.

 


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