Wenn Politik auf Wirklichkeit trifft…

Cem Özdemir will eine weitreichende Reform der Landwirtschaft angehen

Bundesministerin Klöckner mit dem Vorsitzenden der nach ihm benannten Kommission Bundesminister a.D. Borchert und dem Autor der Folgeabschätzung Prof. Isermeyer, Präsident des Thünen-Instituts. (© BMEL/photothek)
Bundesministerin Klöckner mit dem Vorsitzenden der nach ihm benannten Kommission Bundesminister a.D. Borchert und dem Autor der Folgeabschätzung Prof. Isermeyer, Präsident des Thünen-Instituts. (© BMEL/photothek)

 

Von Jost Springensguth

 

Man könnte ihn als Ahnen im Amt bezeichnen: Jochen Borchert hat rechtzeitig vor Ende der letzten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages mit seiner nach ihm benannten Kommission der damals amtierenden Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner ein breit ersehntes Konzept zum Umbau der Nutztierhaltung geliefert. Darin ist der Aufbau von drei Tierwohlstufen mit ausgleichender Wirkung für Landwirte, Handel und Verbraucher vorgesehen. Es ging und geht mit den noch nicht umgesetzten Vorschlägen im Kern darum, die emotional und polarisierend geführte Debatte über die Nutztierhaltung und in Folge für den Fleischkonsum zu konstruktiven und breit akzeptierten Lösungen zu bringen.

 

Borchert will Landwirte und Verbraucher mitnehmen

 

Borcherts Gratwanderung: Eine Abwägung zu finden zwischen den Existenzinteressen der Landwirte in der Nutztierhaltung und einer Preisverträglichkeit an der Ladentheke – auch für Menschen, die beim Einkauf spitz rechnen müssen; die aber auch nicht auf Fleisch verzichten wollen. Die Erkenntnis der damaligen Landwirtschaftsministerin Klöckner: „Die Verbraucher müssen dabei mitgenommen werden. Sie müssen aktiv wählen können. Ohne Tierwohlkennzeichen wird eine Transformation der Nutztierhaltung nicht gelingen.“ Und: "Nur, wenn den Landwirten die Mehrkosten ausgeglichen werden und die Finanzierung vertraglich abgesichert ist, bekommen wir einen Schub für mehr Tierwohl.“

 

Borcherts Vorschläge liegen in der Aktenmasse des Übergangs im Ministerium auf dem Tisch; was daraus wird, steht in den Sternen, obwohl es sich um einen genau überlegten, abgewogenen Weg handelt, der da aufgezeichnet wird. Und im Lebensmittelhandel haben Aldi & Co vielleicht auch einseitig etwas vorschnell begonnen, bereits Nägel mit Köpfen zu machen. Sie versuchen seit letztem Sommer, Frischfleisch von Tieren aus verbesserten Haltungsformen zu angehobenen Preisen den Verbrauchern schmackhaft zu machen. Der Lebensmittelhändler mit Leuchtturm-Funktion kündigt einseitig ohne Abstimmung mit den Bauern die stramme Einführung seines eigenen Tierwohl-Zertifizierungsprogramm bis 2030 an. Schon die ersten Schritte verlaufen in der Akzeptanz im Supermarkt offensichtlich nur zähflüssig. Dabei zeigen sich praktische Nebenwirkungen, weil das kein geordneter, staatlich mitgesteuerter und finanzierter Prozess ist, sondern nach den Regeln des Marktes verläuft. Es handelt sich aber um ein politisches Programm.

 

Der Vegetarier, der ins Amt geradelt kam

 

Derweil kam Cem Özdemir, wie sich das in grüner Überzeugung gehört, erst einmal in sein Amt geradelt, das nun einmal in der breiten Palette von Landwirtschaft und Ernährung für einen Vegetarier nicht gerade auf den Leib zugeschnitten sein dürfte – zumindest, wenn es um den Zuständigkeitsbereich im Teil Nutztierhaltung und Fleischkonsum geht. Von Kompetenz sollte man da erst einmal besser nicht reden.

 

Als erstes machte der neue grüne Amtschef durch knackige Zitate auf sich aufmerksam, die man zunächst im Prinzip unterschreiben könnte. So etwa sagte er noch zum Jahresende kurz nach seiner Amtsübernahme gegenüber Bild am Sonntag: „Ich will, dass wir in Deutschland unsere tollen Lebensmittel genauso wertschätzen wie unsere tollen Autos. Manchmal habe ich das Gefühl, ein gutes Motoröl ist uns wichtiger als ein gutes Salatöl.“ Der Preis für Lebensmittel müsse die ökologische Wahrheit ausdrücken. Während die Vorgängerregierungen in der Landwirtschaft 16 Jahre blockiert und das Thema verschleppt hätten, wolle er jetzt liefern und drei wichtige Ziele erreichen: ein sicheres und gutes Einkommen für unsere Bauern; gesundes Essen für uns alle; sowie mehr Tierwohl, Klima- und Umweltschutz.

 

Im Bundestag hat Özdemir gerade angekündigt, im Bestreben nach gesünderem Essen für die Menschen eine weitreichende Reform der Landwirtschaft anzugehen. Er kündigte an, das „ausbeuterische System an Mensch und Tier“ nicht weiter zu unterstützen. Wenn es dem Tier besser gehe, müsse der Bauer das auch im Portemonnaie spüren. Er stellte Staatsgelder für seine Reformpläne in Aussicht. Reaktion der Opposition: Ankündigungsminister. Also: abwarten, während der Fleischmarkt bereits erschüttert wird.

 

Alles hat seinen Preis…

 

Allein was fehlt, sind die passenden Preisschilder, die er an die Bauernhöfe oder die Handelstheken heftet. Er sagt auch nicht, wie der Staat sich beteiligen könnte.

Die aktuellen Teuerungen sind sicher dem noch im Amt jungen Agrarminister nicht anzulasten. Immerhin sind im vergangenen Jahr die Lebensmittelpreise um 4,5 Prozent gestiegen. Zusammen mit der für Verbraucher und Produzenten dramatischen Entwicklung der Energiekosten ist hier eine Spirale in Gang gesetzt worden, gegen die von einer Regierung Entspannungssignale gesetzt werden sollen. Das gelingt weder dem Klima- und Wirtschaftsminister noch seinem Kabinettskollegen, der für die Ernährung zuständig ist. Im Gegenteil: gerade beim Fleisch könnte es ruhig noch etwas teurer werden. So sagt er.

 

Selbst der Chef des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen, Klaus Müller, kann sich für Fleisch – so wird er in einem dpa-Gespräch zitiert – „Preisaufschläge zwischen zehn Cent und einem Euro pro Kilo Fleisch vorstellen“. Derweil hat der Sozialminister darüber nachzudenken, wie er das für diejenigen einrechnet, die wenig haben, aber auch mal ein Kottelet essen wollen. Zumindest ist für den Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Schneider mit Blick auf die Sozialhilfeempfänger klar, dass Preissteigerungen bei Lebensmitteln zwingend mit einer deutlichen Erhöhung der Regelsätze einhergehen müssten. So zitiert ihn die Zeitung „Welt“.

 

Auf der einen Seite teurer, auf der anderen ruinös

 

Gleichzeitig gehen in den Ställen vermehrt die Lichter aus. Es ist eben nicht der geordnete Prozess, den die Borchert-Kommission vorgeschlagen hat, sondern ein Verfall im freien Markt. So stellt der westfälische Bauernpräsident Hubertus Beringmeier fest, dass es die Schweinebauern gerade mit „ruinösen Preisen jenseits von Gut und Böse“ zu tun haben. Die Westfälischen Nachrichten zitieren ihn mit der Feststellung, dass jedes gehaltene Schwein 50 Euro Verlust bringe. Also: Auf der einen Seite teurer, auf der anderen ruinös.

 

So manche Debatten über Klima, Umwelt, Tierschutz setzen auf die erzieherische Wirkung von Stigmatisierungen. Wenn es um die Ernährung geht, zeigt das in der Summe Wirkung. Man kann ja diese Ziele verfolgen – nur in geordneten Prozessen und nicht Hopplahopp unter Ausblendung fast aller Risiken und Nebenwirkungen. 

 


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