Die neue Angst vorm Plattenbau

Bundesbauministerin Geywitz plant Mietwohnungsbau mit Fertigteilen - Skeptiker befürchten eine Renaissance der „Platte“

Plattenbau (Symbolbild: Peggy und Marco Lachmann-Anke)
Plattenbau (Symbolbild: Peggy und Marco Lachmann-Anke)

 

Von Michael Lehner

 

Die neue Bundesbauministerin plant Mietwohnungsbau mit Fertigteilen. Skeptiker befürchten eine Renaissance von Plattenbau, neue Problemviertel – und noch mehr Siedlungsdruck auf die Grüngürtel der Metropolen. In der DDR war die „Platte“ auch als Schimpfwort geläufig: Seelenlose Wohnbunker aus Beton-Fertigteilen, bevorzugt in den Randgebieten größerer Städte. Und nicht erst nach der Wende Synonym für soziale Verwerfungen. Wie in Rostock Lichtenhagen, wo der Fremdenhass zum Fanal wurde.

 

Aber auch der Westen kann mit gründlich misslungenen Beispielen für (un)sozialen Wohnungsbau dienen. Nicht sehr weit von Rostock mit Kiel-Mettenhof oder im Süden mit der Münchner Trabantenstadt Neuperlach. Das Risiko, im Kampf gegen die Wohnungsnot neue soziale Brennpunkte zu schaffen, ist offenkundig.

 

Mittel gegen steigende Baukosten

 

Keine Missverständnisse: Bauen mit industriell hergestellten Fertigteilen kann ein Mittel gegen horrend steigende Baukosten sein. Auch in ländlichen Regionen, in denen Einfamilienhaus-Träume zunehmend unerfüllbar werden, weil im weiten Umland der Großstädte die Grundstückspreise auch in den Dörfern durch die Decke gehen.

Entscheidend wird sein, ob wir dem Irrglauben widerstehen, dass sich gewachsene Strukturen durch Stadtplanung ersetzen lassen, wenn es nur genug Fahrradwege, Jugendtreffs und Senioren-Cafés der Arbeiterwohlfahrt gibt. In Wahrheit verdrängen Besserverdiener die angestammte Wohnbevölkerung aus den ehemaligen Kleine-Leute-Vierteln, den Ärmeren bleibt die „Platte“.

 

Suche nach überschaubarem Wohnumfeld

 

Gerade die Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung zeigen: Ob Berlin, Rostock oder Dresden - die Menschen zieht´s weit eher in die Quartiere mit den Denkmal-Häusern und den grünen Hinterhöfen. Und wenn sie sich den Kiez nicht mehr leisten können, wechseln sie aufs Land. Immer auf der Suche nach einem überschaubaren Wohnumfeld, das Raum lässt für individuelle Lebensentwürfe. Und wenn nur das Bio-Hochbeet auf dem Großstadt-Balkon ist.

 

Dagegen steht eine veraltete Ideologie, die den Flächenverbrauch zur Wurzel aller Übel erklären will. Obwohl klar ist, dass höchstmögliche Verdichtung der Bebauung auch Umweltprobleme wie die Feinstaubbelastung verschärft. Wenn Stadtluft nicht mehr frei macht, sondern krank. Mitunter auch an der Seele.

 

Bauministerin Klara Geywitz stammt aus Potsdam, das seit Jahren erlebt, was die Nachbarschaft zu einer explodierenden Metropole bedeutet. In erster Linie Verdrängung der Menschen mit kleinem Geldbeutel aus dem Mietwohnungsbestand. Und Neubaugebiete für gehobene Ansprüche, aber ohne gewachsenen Zusammenhalt.

 

Dorf-Bürgermeister setzen auf sozialverträgliche Konzepte

 

Kluge Dorf-Bürgermeister setzen längst auf – auch – sozialverträgliche Konzepte. Vor allem auf das Schließen von Baulücken, gern auch mit Mehrfamilienhäusern. Mit Wohnungen, groß genug für junge Familien. Oder klein genug für Senioren, denen so der Ortswechsel im Alter erspart bleibt. Und mit Sanierungskonzepten für gewachsene Ortskerne.

 

Das Ergebnis solcher Dorfentwicklung kommt dem Städtebauer-Ideal urbaner Quartiere mit lebendiger Nachbarschaft meist näher als viele großstädtische Modell-Versuche. Die Bauministerin, die ihren Wahlkampf auf dem Lastenfahrrad bestritt, ist gut beraten, die Wohnungsnot nicht in den Metropolen zu bekämpfen, die in Wahrheit Ursprung des Problems sind.

 

Mehr Sympathie für Handwerk und Mittelstand

 

Dazu gehört vor allem die Einsicht, dass Arbeitsplätze dort entstehen müssen, wo Menschen ihre Heimat haben. Mehr Sympathie für Handwerk und Mittelstand statt hirnloses Gebalge um Mega-Fabriken auf dem flachen Land. Dies auch im Interesse der öffentlichen Kassen, die nicht selten die teure Infrastruktur für weltbekannte Steuervermeider finanzieren müssen. Während alteingesessene Betriebe bei der Verteilung von Gewerbeflächen oft genug leer ausgehen.

 

Ein Lichtblick, dass gerade Hightech-Startups mit oft „grün“ bewegtem Management die Provinz entdecken. Mit motivierten Mitarbeitern, sogar durch die Aussicht auf ein bezahlbares Eigenheim. Mit hohem Freizeitwert und kurzen Wegen. Und mit einem Umfeld, das Kindern nicht nur Zukunft bietet, sondern sogar gute Gegenwart. Irgendwie das Gegenteil zum Leben in der „Platte“.

 


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Endlich wieder ein Bauministerium im Bund: Bauministerin Klara Geywitz wird vor allem an einem ehrgeizigen Ziel des Koalitionsvertrags gemessen werden: dem Bau von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr.

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