Beim Atomstreit stehen die Grünen als Verlierer schon fest

Das Ampel-Bündnis hat seinen ersten großen Konflikt

Hand ändert das Wort "Atomausstieg" in "Atomeinstieg". (Foto: iStock/Fokusiert)
Hand ändert das Wort "Atomausstieg" in "Atomeinstieg". (Foto: iStock/Fokusiert)

 

Von Hugo Müller-Vogg

 

Was für ein Zufall. Ausgerechnet am letzten Tag des alten Jahres, als die Grünen die Abschaltung von drei der letzten sechs deutschen Kernkraftwerke feierten, zündete die EU-Kommission einen Silvester-Böller mit besonders viel Wumms: Sie stufte die Atomkraft im Entwurf einer entsprechenden Verordnung als nachhaltig ein. Das hindert keines der 27 EU-Mitglieder am eigenen Abschied von der Kernenergie. Aber das Prädikat „nachhaltig“ für den Atomstrom wird dafür sorgen, dass von privaten Anlegern hohe Milliardenbeträge in hochmoderne, CO2-freie Kernkraftanlagen fließen.

 

Bekanntlich denkt die Mehrheit der europäischen Staaten nicht daran, sich den deutschen Klimapurismus zu eigen zu machen. Das ist aus Sicht der deutschen Grünen schon schlimm genug. Noch schlimmer ist für die in Berlin mitregierende Öko-Partei, dass ihre Ampel-Partner SPD und FDP offenbar ganz gut damit leben können, wenn Brüssel neben der Kernkraft auch Erdgas für eine Übergangszeit als hilfreich ansieht.

 

Der Plan der Kommission trägt die Handschrift Macrons

 

Die grünen Minister Robert Habeck (Klima und Wirtschaft) und Steffi Lemke (Umwelt) sind entsprechend empört. Aus der innerparteilich weit links stehenden grünen Jugendorganisation kommen besonders schrille Töne des Protests. Auch die stellvertretende Parteivorsitzende Ricarda Lang erwartet von der Bundesregierung „Druck auf Brüssel“.

 

Die Kommission weiß freilich eine solide Mehrheit der EU-Staaten hinter sich. Was wiederum bedeutet, dass aus Sicht der Grünen der Atom-Gau droht: Die rot-grün-gelbe Bundesregierung überweist Milliarden an deutschen Steuergeldern nach Brüssel, mit denen wiederum der Ausbau der Kernenergie in der EU, nicht zuletzt in Frankreich, gefördert wird.

 

Der Plan der Kommission trägt eindeutig die Handschrift Frankreichs, das unverändert auf klimaneutralen Atomstrom setzt. Überdies hat die bisherige Große Koalition diese Politik mitgetragen, weil der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrem Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) viel daran lag, auch Gas als Brückentechnologie mit einem grünen Label zu schmücken. Das empört die Grünen ebenfalls, zumal sie lieber heute als morgen das deutsch-russische Pipelineprojekt Nord Stream 2 stoppen würden. Dagegen begrüßte ein Regierungssprecher die Einstufung von Erdgas als nachhaltig.

 

Scholz wird Macron nicht verprellen

 

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung des EU-Plans mitten in der Feiertagszeit dämpfte bisher die Reaktionen im politischen Berlin. Das wird sich in den nächsten Tagen ändern. Dem Ampel-Bündnis steht der erste Großkonflikt ins Haus. Dabei ist die Gefechtslage klar: Rot-Gelb gegen Grün. Die Forderung, Berlin müsse sich den von Österreich und Luxemburg (zwei Staaten ohne Kernkraftwerke) angekündigten Klagen gegen Brüssel anschließen, wird die grünen Kabinettsmitglieder in Schwierigkeiten bringen.

 

Zum einen steht Deutschland mit seinem jetzigen Energiekurs innerhalb der EU auf ziemlich verlorenem Posten. Zum anderen ist jeder Angriff auf die Kommissions-Vorschläge zugleich ein Angriff auf den französischen Präsidenten. Wenn Kanzler Scholz in Europa einiges voranbringen will, kann er das nur gemeinsam mit Macron. Es erscheint mehr als fraglich, dass Scholz um des lieben Ampel-Friedens willen, den französischen Präsidenten verprellt.

 

Die Grünen können nur verlieren

 

Die Grünen haben zwei Möglichkeiten: Sie können gegen den EU-Plan Sturm laufen, dabei viel Staub aufwirbeln und eine mittlere Koalitionskrise auslösen; sie werden angesichts der Mehrheitsverhältnisse im EU-Parlament aber nichts Substantielles erreichen. Oder sie nehmen zur Kenntnis, dass die meisten europäischen Staaten sich bei der Sicherung ihrer Energieversorgung nicht an grünen Parteitagsbeschlüssen orientieren. So oder so: Die Grünen sind die großen Verlierer.

 

Unser Gastautor:

 

Dr. Hugo Müller-Vogg, ehemaliger F.A.Z.-Herausgeber, zählt zu den erfahrenen Beobachtern des Berliner Politikbetriebs. Als Publizist und Autor zahlreicher Bücher analysiert und kommentiert er Politik und Gesellschaft.

www.hugo-mueller-vogg.de und www.facebook.com/mueller-vogg

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