Klare Grenzen setzen

Offenkundig haben immer mehr Menschen Anstand und Maßstäbe in der politischen Auseinandersetzung verloren

„Querdenker“-Demonstration in München (Symbolbild: Michael Hofmann)
„Querdenker“-Demonstration in München (Symbolbild: Michael Hofmann)

 

Von Jürgen Wermser

 

Es ist schon erschreckend, mit welchem Zynismus und mit welcher Brutalität angebliche „Normalbürger“ Leib und Leben ihrer Mitbürger, ja manchmal sogar der eigenen Kinder geringschätzen. Man denke hier etwa an eine junge Frau, die kürzlich mit einem Vierjährigen im Kinderwagen eine Polizeisperre in Schweinfurt durchbrechen wollte. Das Kind bekam Pfefferspray in die Augen, musste von den Einsatzkräften zum Rettungsdienst gebracht und medizinisch versorgt worden. Zum Glück war es nach wenigen Minuten und einer Augenspülung wieder beschwerdefrei. Was geht in einer Mutter bloß vor, dass sie meint, ihr Kind als eine Art Waffe gegen Polizisten einsetzen zu dürfen - und das in einer funktionierenden, rechtsstaatlichen Demokratie wie Deutschland?

 

Offenkundig haben immer mehr Menschen Anstand und Maßstäbe in der politischen Auseinandersetzung verloren. Bürger, die anderer Meinung sind, aber auch Vertreter des Staates werden als Feinde wahrgenommen, gewählte Repräsentanten insbesondere auf lokaler Ebene verunglimpft und bedroht. Das war bei den fremdenfeindlichen Pegida-Demonstrationen nicht anders als bei den aktuellen illegalen als „Spaziergänge“ ausgegebenen Demos von angeblichen Impfgegnern. Hinter den jeweiligen Galionsfiguren versammelt sich eine inzwischen bekannte, Melange von Extremen, Reichsbürgen, Antidemokraten und auch Gewaltbereiten.

 

Was tun? Wegschauen? Die Vorfälle herunterspielen? Sich um Verständnis für die Wut und den Hass bemühen? Gar Zugeständnisse machen, um solche Bürger zu besänftigen? All dies mögen noch so menschlich verständliche, weil bequeme Reaktionen sein: politisch sind sie ein Irrweg. Denn das stillschweigende Dulden und Akzeptieren derart gravierender demokratischer Regelverstöße höhlt die Grundfesten unseres Gemeinwesens aus.

 

Rahmen durch das Grundgesetz

 

Die pluralistische Gesellschaft lebt von inhaltlichen Konflikten, dem Wechselspiel von Regierung und Opposition - aber immer auf der Basis gemeinsamer Werte und Spielregeln, wie sie das Grundgesetz beschreibt und legitimiert hat. Wer sich bewusst außerhalb dieses Rahmens stellt oder ihn gar offensiv bekämpft, darf keine Nachsicht erwarten. Hier muss die wehrhafte Demokratie klare Grenzen setzen und sich gegen ihre Feinde mit allen rechtsstaatlichen Mitteln verteidigen, sprich durch Polizei- und Verfassungsschutzeinsätze sowie Gerichtsverfahren.

 

Doch das allein reicht nicht. Noch wichtiger ist, dass Radikale und Extremisten in der schweigenden Mehrheit keinen Einfluss bekommen. Anders gesagt: Demokraten dürfen sich in Debatten die Meinungsführerschaft nicht rauben lassen. Dazu gehören - wenn erforderlich - auch deutliche Widerworte im Freundes- und Familienkreis, im Verein oder an der Arbeitsstelle.

 

Olaf Scholz muss gutes Beispiel geben

 

Bundeskanzler Scholz hat zum Auftakt seiner Amtszeit mehr Respekt in der Gesellschaft angemahnt. Recht hat er. Aber zugleich als Regierungschef auch die Pflicht und die Möglichkeiten, hier in vielfältiger Weise mit gutem Beispiel voranzugehen. Dazu gehört nicht zuletzt, Justiz und Sicherheitsbehörden personell und materiell deutlich besser auszustatten, um die Grenzen der Demokratie nach rechts und links effektiver schützen zu können.

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