Wenn Elektromobilität an die Substanz geht

Mitunter lohnt ein Blick nach Nordeuropa. Zumal, wenn es um „grüne“ Energie geht. 

Zwei Fahrzeuge an einer Ladestation (Symbolbild: Joenomias)
Zwei Fahrzeuge an einer Ladestation (Symbolbild: Joenomias)

 

Von Michael Lehner

 

Im nordschwedischen Skellefteå bringt der Bau einer Giga-Factory für Lithium-Ionen-Akkus die Sozialstrukturen einer bisher ländlich geprägten Region komplett durcheinander.

 

Seit drei Jahren herrscht Goldgräberstimmung hoch oben am Bottnischen Meerbusen. Spekulanten und auch Kleinanleger verschulden sich und bieten Mondpreise auf nicht selten abgewohnte Häuser. Menschen vermieten ihre Wohnungen teuer an Neubürger und wohnen selber weit weg in ihren Sommerhäusern. Zu verlockend ist der Mietwohnungsmarkt, auf dem für Kleinwohnungen schon mal 1.500 Euro Monatsmiete aufgerufen werden. Und für Einfamilienhäuser bis zu 7.000 Euro.

 

38.000 Menschen stehen mittlerweile auf der Warteliste der gemeinnützigen Wohnungsgesellschaft „Skebo“. In einer Stadt, die vor dem Batterie-Boom gerade mal 33.000 Einwohner zählte – und wegen der Arbeitsplatzverluste im Bergbau als Abwanderungsfall galt.

 

Junge Familien werden zu Verlierern

 

Nun haben die Immobilienpreise längst (schwedisches) Ballungsraum-Niveau erreicht. Auf der Strecke bleiben junge Familien, die sich so eine Bleibe kaum noch leisten können. Senioren erreicht der Druck noch nicht so sehr. Die Eigenheimquote ist hoch in der Region, in der passable Einfamilienhäuser noch vor wenigen Jahren selten mehr als 100.000 Euro kosteten.

 

Ähnlich bedrückend ist die Situation für alteingesessene Industrie- und Gewerbebetriebe. Nicht nur Facharbeiter, sondern auch Angelernte sind plötzlich Mangelware auf einem leer gefegten Arbeitsmarkt. Und für Druck auf das herkömmliche Lohnniveau sorgt zusätzlich der überhitzte Immobilienmarkt. Das Arbeitsplatz-Wunder im Zuge der Elektromobilität wird wohl auch traditionelle Arbeitsplätze kosten.

 

Wildwest-Zustände im nordöstlichen Schweden beklagen auch Gewerkschaften. Nach deren Schätzungen wird die Hälfte der 3000 Batterie-Werker aus dem Ausland kommen. Schlafplätze in Mehrbettzimmern werden für bis zu 400 Euro monatlich vermietet. Die Baugewerkschaft schätzt, dass mindestens 250 Firmen aus aller Herren Länder auf der Giga-Baustelle beschäftigt sind – und niemand überblicke, ob dabei Versicherungspflicht und Tarifverträge eingehalten werden.

 

Mehr Verkehr durch Öko-Auto-Boom

 

Zu erwähnen ist aber auch, dass Northvolt viel unternimmt, damit das Projekt nicht am Ende an der katastrophalen Wohnungsnot scheitert. Im Gespräch ist beispielsweise ein Programm für den Bau von jährlich 100 Einfamilienhäusern. Die Gesellschaft kauft zudem selber Wohnhäuser im Umkreis von bis zu einer Stunde Autofahrt auf. So sorgt der Öko-Auto-Boom für zusätzlichen Verkehr, der sicher auf reichlich Verbrenner-Autos angewiesen sein wird.

 

Nebenbei: Mit im Batterie-Boot sitzt China über die Mehrheit beim Northvolt-Teilhaber Volvo. Volkswagen ist per Joint Venture vertreten und will im Norden die Akkus für seine Nobelmarke Porsche produzieren lassen. Der Steuerzahler ist auch dabei mit hohen Anschubfinanzierungen nicht nur aus Stockholm, sondern auch aus der Europäischen Union. Das Top-Management schließlich kommt nahezu komplett vom US-Autobauer Tesla.

 

Schweden ist nicht nur Werkbank, sondern wohl auch Denkfabrik des international agierenden Konzerns. Am Northvolt-Verwaltungssitz Västerås bei Stockholm ging im vergangenen Jahr eine Pilotanlage zum möglichst vollständigen Recycling ausgedienter Akkus in Betrieb.

 

Deutsche Regionen buhlen um Investition

 

Die gemeinsam mit Anteilseigner VW geplante Batteriefabrik in Salzgitter will Volkswagen (warum auch immer) nun alleine betreiben. Auch deshalb läuft das Buhlen deutscher Regionen um ein weiteres Northvolt-Werk auf Hochtouren. Die Manager aus Västerås warnen allerdings schon mal vor überzogenen Hoffnungen. In Deutschland fehle es noch an „grüner“ Energie, bemängelt Firmengründer Mikael Carlsson. Denn auch hier müsse „der gleiche Anspruch an Nachhaltigkeit wie in Schweden“ gelten.

 

Dort, in Skellefteå, kommt der Strom aus Wasserkraft. Hauptsächlich aus dem gigantischen Skellefte-Fluss, der 410 Kilometer von den großen Naturreservaten im südlichen Lappland bis zur Mündung in die Ostsee fließt. Aber kaum noch unberührt: Gerade mal 40 Kilometer flussaufwärts können dort Lachse und Meerforellen noch wandern. Danach bändigen 15 Kraftwerksdämme das Gewässer, im Schnitt alle 25 Kilometer einer.

 

Neue Kernkraft-Anlagen

 

Renaturierung, heißt es bei den Behörden zum groß angelegten National-Plan zur Verbesserung der schwedischen Gewässer, sei ein wichtiges Ziel, aber sie dürfe die Energiegewinnung nicht unverhältnismäßig behindern. Das gilt wohl auch für Northvolt und Skelefteå. Drei alte Turbinenanlagen werden nun abgebaut, die übrigen dafür aufwändig ertüchtigt. Und im Notfall gibt’s ja noch die Kernkraftwerke. Die dürfen nach einem Beschluss der rotgrünen Koalitionsregierung aus dem Jahr 2016 an insgesamt 10 Standorten durch neue Anlagen ersetzt werden.

 


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