Olaf Scholz – ein wohlwollendes Kanzler-Porträt

Der Bundeskanzler ist ein Mann der Metropolen – Schützenfeste, Trecker und Gummistiefel dürften ihm eher fremd sein

Cover: „Olaf Scholz – Der Weg zur Macht“ - Klartext; 1. Edition (6. Dezember 2021)
Cover: „Olaf Scholz – Der Weg zur Macht“ - Klartext; 1. Edition (6. Dezember 2021)

 

Von Christian Urlage

 

Schon vor drei Jahren hat Olaf Scholz daran geglaubt, Bundeskanzler zu werden, allen Umfragen und Entwicklungen zum Trotz. Noch im Frühjahr 2021 klang es wie ein Witz, wenn behauptet wurde, er werde Kanzler. Wie und warum er dennoch SPD-Spitzenkandidat wurde und als Sieger aus der Bundestagswahl hervorging, ist in dem informativen, flüssig geschriebenen Buch „Olaf Scholz – Der Weg zur Macht“ nachzulesen. Verfasst hat es Lars Haider, Chefredakteur des „Hamburger Abendblattes“. Das Buch entstand in nur wenigen Wochen und ist das erste über Scholz.

 

Haider liefert ein wohlwollendes Porträt, aber keine klassische Biografie vom Kinderwagen bis zum Kanzleramt. Auch einen Schlüsselloch-Blick in das Privatleben des SPD-Spitzenpolitikers suchen Leser vergeblich. Doch sie erfahren auf den 198 Seiten viel über die Stärken und Eigenschaften von Scholz: seine Ruhe, seine Disziplin, seine Detailkenntnis, sein Selbstbewusstsein und sein Vermögen, Niederlagen wegzustecken und ein „Meister des Comebacks“ zu sein. Das alles verbucht Haider als Vorteile. Aber er beschreibt Scholz auch als schüchtern und skizziert dessen Kunst, ausweichend auf Fragen zu antworten. In seiner Partei habe der Hamburger lange als Außenseiter gegolten.

 

Niederlage bei Volksentscheid

 

In gut zehn Jahren ist Haider dem jetzigen Kanzler als Journalist besonders in Hamburg nahegekommen, wo Scholz 2011 zum Ersten Bürgermeister gewählt wurde. Dort brachte er das Großprojekt Elbphilharmonie zum guten Ende und musste hinnehmen, dass eine Mehrheit im Volksentscheid die Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 2024 in der Millionenstadt ablehnte.

 

Das Desaster beim Umgang mit den Krawallen auf dem G20-Gipfel in Hamburg bezeichnet Haider als größten Fehler von Scholz und behauptet, vor allem CDU/CSU und FDP hätten bei ihrem Kampf gegen den SPD-Spitzenkandidaten auf die falschen Skandale gesetzt. Der Umgang des Finanzministers mit den Cum-Ex-Geschäften sei viel zu kompliziert gewesen, um dieses Thema im Wahlkampf nutzen zu können.

 

Noch im Juli lag die SPD bei 16 Prozent

 

Am überraschendsten liest sich das Kapitel über die Umfragen: Im März 2021 lag die SPD laut Infratest Dimap bei der Sonntagsfrage abgeschlagen bei 16 Prozent, hinter den Unionsparteien (33 Prozent) und den Grünen (20 Prozent). Bis zum Juli deutete nichts daraufhin, dass die Sozialdemokraten am Ende vorn sein würden, denn noch im Sommer lag ihr Anteil wie festgetackert bei 16 Prozent. Bewegung in die Umfragen kam erst sechs Wochen vor der Wahl, auch wegen der Fehler der Konkurrenten und weil erst dann das politische Interesse vieler Menschen erwachte.

 

Seine Welt sind die Metropolen

 

Die Welt des Olaf Scholz, das wird im Buch deutlich, waren zeitlebens Metropolen, also Hamburg und Berlin. Was ihm fehlt, ist buchstäblich der Stallgeruch des ländlichen Raumes. Schützenfeste, Trecker und Gummistiefel dürften dem 63-Jährigen eher fremd sein – und das unterscheidet ihn zum Beispiel fundamental vom ein Jahr älteren CDU-Urgestein Karl-Josef Laumann aus dem Tecklenburger Land, dem kürzlich die „Zeit“ ein warmherziges, umfangreiches Porträt gewidmet hat, mit dem berechtigten Hinweis darauf, dass derart bodenständige Politiker in der CDU rar geworden sind. Dass Scholz nicht vom Dorf kommt, wird ihm niemand vorwerfen können, aber der Kanzler muss sich auch daran messen lassen, wie sehr er die Menschen in der Peripherie berücksichtigt.

 


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