Die Konservativen und der Zeitgeist

Deutscher Bundestag (Symbolbild: Felix Mittermeier)
Deutscher Bundestag (Symbolbild: Felix Mittermeier)

 

Von Michael Lehner

 

Die Union, heißt es, soll konservativer werden. Aber selbst die Wortführer der Debatte wissen (oder sagen) nicht so genau, wie und wohin das gehen soll. Weil das Konservative selbst in bürgerlichen Kreisen zum Schimpfwort verkommt. Und weil es am Mut fehlt, das vermeintlich Moderne zu hinterfragen.

 

Im Wortsinn bedeutet konservativ zu sein, den Willen zum Bewahren. Also Offenheit für den Fortschritt, wenn das Bewährte sonst in Gefahr gerät. Das muss auch gelten, wenn solche Gefahr vom Zeitgeist ausgeht. Zum Beispiel beim aktuellen Experiment der CDU, die Neubesetzung im Parteivorsitz nach Regeln zu gestalten, die zuvor schon die SPD in Existenznot brachten.

 

Weil Konservative auch aus den Fehlern der Konkurrenz lernen sollten, wäre zudem ein Blick zu den Grünen hilfreich. Diese bremsten ihren Höhenflug mit einer Kanzlerkandidaten-Kür, bei der am Ende nicht Kompetenz zählte, sondern Formal-Feminismus. Das hat die CDU mit der verpatzten Nachfolge-Regelung der scheidenden Kanzlerin eigentlich schon hinter sich.

 

Prinzipien wichtiger als Personalien

 

Weit wichtiger als Personalien sind auf längere Sicht Prinzipien. In der Klima-Debatte ist der Union nicht erst in jüngerer Zeit die konservative Kernkompetenz des Bewahrens abhandengekommen. Sie hat die Führungsrolle bei der notwendigen Energiewende nicht wahrgenommen und obendrauf mit dem überstürzten Atom-Ausstieg auch noch schwindende Standhaftigkeit offenbart.

 

Idealerweise folgen Konservative der Vernunft, nicht Stimmungen. Insofern wäre es auch verkehrt, in der akuten Krisenstimmung die Zukunft im Werben um Einzelinteressen zu suchen. Vulgärer Wirtschaftsliberalismus ist im Volk so wenig mehrheitsfähig wie der Wettbewerb um eine geschichtsvergessene Minderheit, die im Nachhinein zwei verlorene Weltkriege gewinnen will.

 

Klare Worte zu unangenehmen Fragen

 

Konservative Standhaftigkeit gebietet zudem klare Worte zu unangenehmen Fragen: Etwa zu jener, ob es sein darf, dass sich Deutschland in christlicher Nächstenliebe neuen Antisemitismus ins Land holt. Hier zu schweigen wäre so wenig konservativ wie Herzlosigkeit im Anblick der Flüchtlingsboote.

 

So wie den Sozialdemokraten der Besuch von Maifeiern anzuraten ist, sollten Christkonservative die Soziallehren ihrer Kirchen studieren. Und begreifen, dass die Heilsversprechen dort nicht erst für die Ewigkeit gelten, sondern für das Hier und Jetzt. Zum Beispiel mit der Einsicht, dass sich der gerechte Lohn nicht daran orientieren darf, was Arbeit in asiatischen Diktaturen wert ist.

 

Das Christliche prägte die konservativen Parteien nach der nationalen Katastrophe. Ebenso wichtig ist als zweite Säule die Vernunft. Aktuell die Einsicht, dass Fortschritt Schwächere nicht ausgrenzen darf, auch nicht beim Ziel die Welt zu retten. Begreifen, dass ein Gender-Stern nicht satt macht, wenn der Lohn sehr oft für beide Geschlechter nicht zum Leben reicht.

 

Am Ende zählt zudem der Mut, den Zeitgeist zu hinterfragen. Etwa mit der Feststellung, dass auch die Alleinverdiener-Familie zu den Partnerschaftsformen zählt, die ein konservativer Staat zu schützen hat. Aber nicht mit unionsinternem Streit um eine gerechte Mütterrente.

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