Landflucht ist jung und weiblich

Thematischer Schwerpunkt des ADEG Dorfleben-Reports® ist die Bedeutung der Frauen für die Dorfgemeinschaft. (Quelle: © ADEG / Johannes Kopf)
Thematischer Schwerpunkt des ADEG Dorfleben-Reports® ist die Bedeutung der Frauen für die Dorfgemeinschaft. (Quelle: © ADEG / Johannes Kopf)

 

Von Jost Springensguth

 

Ein Ausflug oder Blick nach Österreich ist immer lohnenswert – nicht nur wegen der touristisch attraktiven Bergwelt, sondern auch zum Vergleich der Gewichtung der Themen des ländlichen Raumes.

 

Vielfach wird in der alpinen Welt der Urlaub auf dem Lande gesucht. Meist sind es Städter, die für ein bis zwei Wochen das ländliche Leben gerade dort zur Erholung genießen möchten. Wer etwa im oberen Zillertal unterwegs ist, sieht staunend an Schautafeln, dass der Tourismus unterhalb des Tuxer Gletschers erst in den Nachkriegsjahren als neue Lebensgrundlage neben der vorher traditionell beschwerlichen Arbeitswelt der Bergbauernfamilien entdeckt und entwickelt wurde. Die grau hinterlegten schwarz-weiß-Bilder vom Heumachen an Steilhängen, die Arbeit mit einfachstem Gerät und Pferde- oder Rindergespannen zeigen vielfach Frauen bei schwerster Arbeit, wie man sie sich heute kaum vorstellen kann.

 

Die Lebenswelt auf den Dörfern gerade in den Touristenregionen hat sich in einer geradezu stürmischen Weise dramatisch verändert. So ist im „Dorflebenreport 2020“ der ADEG, einem Unternehmen mit genossenschaftlichen Wurzeln im Lebensmittelhandel nachzulesen, welche Rolle die Frau auf dem Lande inzwischen einnimmt und welche Bedeutung das für die Entwicklung der ländlichen Regionen heute hat.

 

Frauen engagieren sich

 

Die Herausgeber der Studie mit dem Untertitel „Die Bedeutung der Dorffrauen“ stellen zur Motivation und als Beitrag zur Wiederbelebung des Landlebens fest: „Dorffrauen sind Arbeitnehmerinnen, Unternehmerinnen, Bäuerinnen, Familienmanagerinnen, Politikerinnen, Konsumentinnen – und vor allem Vorbilder. Sie packen mit an und mischen sich ein, engagieren sich für das soziale Leben, bringen neue Ideen in die Gemeinden und beleben die ländlichen Regionen Österreichs nachhaltig.“

 

Man mag bei der Lektüre der Studie zu dem Schluss kommen, dass hier zu sehr ein tradiertes Frauenbild gespiegelt wird, dass gleichwohl verbreitete Wünsche nach Veränderungen und Modernisierung artikuliert werden. Mehr noch: wenn sie bleiben und nicht vom Land flüchten, sind sie in Österreich in ihrer aktuellen Rolle vielfach Treiberinnen der Modernisierung.

 

Das belegt die Studie, wenn es um die Bestandsaufnahme geht, in welchen Bereichen sich Frauen in einer Dorfgemeinschaft engagieren. Das sind Kinderbetreuung (71 %), Pflege (70 %), Bildung (55 %) und Mitarbeit in lokalen Hilfsorganisationen. Und wenn es um die Frage an Dorfbewohnerinnen geht, was dort die Lebensqualität aufrechterhält, so sind das in erster Linie Kinderbetreuungseinrichtungen, Nachbarschaftshilfe, soziale Treffpunkte, Sportförderung und lokale Veranstaltungen mit Werten um und über 70 %.

 

Frauen organisieren vielfach Veranstaltungen, sie setzen sich für den Umweltschutz ein und fördern den Sport. Das entspricht zwar nicht den verbreiteten Debatten mit aktuellen Forderungen zu der gesellschaftlichen Rolle der Frau. Hier scheint es aber erhebliche Unterschiede zwischen der Entwicklung in den ländlichen und städtischen Regionen zu geben. Das könnte im Groben auch für den ländlichen Raum bei uns zutreffen.

 

Leben auf dem Land lebenswert

 

Die Untersuchung kommt im Kern zu dem Ergebnis, dass das Leben auf dem Land vor allem eines ist; nämlich lebenswert. Darin sind sich 97 % der für die ADEG-Studie befragten Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner einig. Dabei ist insbesondere der Zusammenhalt in den Gemeinden von Bedeutung. Daraus werden natürlich politische Forderungen formuliert, die kaum allein für Österreich gelten können, wie der Präsident des österreichischen Gemeindebundes, Alfred Riedl, im Vorwort der Studie schreibt: „Lebendige Gemeinden brauchen eine lokale und regionale Nahversorgung genauso wie ein modernes Glasfasernetz. Beides sind Grundbedingungen für ein lebendiges Dorfleben und auch wichtige Faktoren, die Arbeitsplätze schaffen, Abwanderung verhindern, Lebensqualität sichern und nicht zuletzt lebenswerte Dörfer ermöglichen.“

 

Gehen oder bleiben. Das ist für viele Menschen auf dem Lande die Frage nach den Vor- und Nachteilen des Lebens im Dorfe. Dabei wird für Österreich festgestellt: die Landflucht ist jung und weiblich. Für 30,5 % und damit knapp ein Drittel der 18- bis 29-jährigen Frauen ist es wahrscheinlich, in die Stadt zu ziehen. Bei den gleichaltrigen Männern tragen sich nur 17 Prozent mit solchen Gedanken. Bei den Gründen für die Abwanderungsgedanken junger Frauen werden die besseren Jobchancen (56,2 %), bessere Aus- und Weiterbildung (34,3 %) und bessere städtische Infrastruktur (34,3 %) genannt.  

 

Den städtischen Standards angleichen

 

Das belegt Handlungsbedarf, der hierzulande in den politischen Debatten zu wenig reflektiert wird. Offensichtlich geht es Initiatoren und Autoren des „Dorflebenreports“ darum darzustellen, was politisch getan werden muss, um das Leben auf dem Lande den gewohnten Standards in den Städten und urbanen Regionen anzugleichen. Dass dabei einmal die Rolle der „Frauen als Soziale Lebensader im Dorfleben“ betrachtet wird, mag vielleicht auf den ersten Blick exotisch wirken. Auf den zweiten werden aber auch abseits klischeehafter Betrachtungen Anstöße für die Ausrichtung strukturpolitischer Veränderungen gegeben. Wer in die Studie einsteigt, findet Aussagen, die auch für den ländlichen Raum in Deutschland gelten könnten.

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