Wie die ARD das Dorfleben als Mainstream entdeckt

 

Von Michael Lehner

 

Die Themenwoche „Stadt, Land, Wandel“, mit der die ARD gerade das Leben, Wohnen und Arbeiten abseits von Großstädten und urbanen Regionen in unterschiedlichen Beiträgen in die Wohnzimmer bringt, ist durchaus erhellend – auch was die Lernprozesse der Medienmacher angeht.

 

Da ist die kesse Jung-Reporterin aus der Hauptstadt beim Probewohnen auf dem Lande. Sogar Party gibt’s im Kuhdorf, aber am Ende steht das irgendwie erschütternde Erlebnis, dass in weitem Umkreis kein Pizza-Lieferservice verfügbar ist.  

 

Beim freundlichen Herr Plasberg erleben wir eine Grünen-Abgeordnete, die regelmäßig ihre Oma auf dem Dorf besucht. Aber sich den Menschen dort erst auf der Suche nach der entlaufenen Katze nähert. Sprachlosigkeit scheint nicht nur bei den Grünen durchaus ein Problem zu sein bei der neuen Landlust in den Parlamenten. Juli Zeh, Erfolgsautorin und Top-Juristin, ist da deutlich weiter mit dem Ankommen in der selbst gewählten Havelland-Diaspora. Sie rät der mitunter arg abgehobenen Plasberg-Runde mit den Dorfmenschen nicht zu reden „wie mit kleinen Kindern“. Wohl der erste wichtige Erkenntnis-Treffer der Themen-Woche. 

 

Seit Ludwig Thoma nicht viel geändert

 

Irgendwie hat sich gar nicht so viel geändert im Stadt-Land-Verhältnis, seit Ludwig Thoma den Einakter „Erste Klasse“ schrieb. Da machen sich im Eisenbahn-Abteil der Dorf-Landtagsabgeordnete Josef Filser und ein Bauer lustig über einen Ministerialrat, zuständig für die Viehzucht in Bayern: „Dieses Tier hat ein schönes Euter“ habe der feine Herr das Rest-Gemächt eines Ochsen bewundert. 

Ein wenig Demut ist wohl zu empfehlen, wenn aus der Landflucht tatsächlich eine Flucht aufs Land werden sollte. Wofür auch die Heiterkeit in der Plasberg-Runde spricht, als die Frau von den Grünen auf den Staatszuschuss für Lastenfahrräder zu sprechen kommt. Ihm nütze das gar nichts, sagt ein pfiffiger Jungunternehmer: Rund um sein Dorf auf der Insel Rügen gebe es nämlich nur Kopfsteinpflaster. Und das halten auf dem Rad weder Mensch noch Ware aus.

 

Wachsende Lust auf Landluft, statt steigende Mieten  

 

Womöglich die spannendste Facette der Momentaufnahmen: Am schlimmsten trifft die Krise offenbar mittelgroße Städte. Chemnitz und Ingolstadt beschreibt ein Beitrag der ARD-Themenwoche (Alles in der Mediathek zu finden) dazu im Detail. Drastisch steigende Mieten, die Menschen ins Umland vertreiben. Wenig Perspektiven für den klassischen Einzelhandel. Hohe Ausgaben fürs Soziale. Und dazu die wachsende Lust auf Landluft bei den lindgrün bewegten Jüngeren.

 

Intendantin Wildermuth sieht Themen anderer Brisanz

 

Beim federführenden Bayerischen Rundfunk betont Intendantin Katja Wildermuth die Dringlichkeit solcher Analyse: „Wir merken in der aktuellen politischen Debatte, dass das Themen sind, die uns ohnehin als Gesellschaft schon lange umtreiben, die aber in den letzten eineinhalb Jahren durch die Pandemie und die besondere Situation noch mal eine ganz andere Brisanz gekriegt haben.“ Zu solcher Brisanz gehört wohl auch wachsendes Selbstbewusstsein im ländlichen Raum. Längst gibt es dort neben der Hoffnung auf Zuwanderung auch klare Erwartungen an die Neubürger. Zum Beispiel Einsicht in den Umstand, dass Landwirtschaft als Gartenlaube-Idylle nicht überleben kann. Oder das Dörfer nur in Gemeinschaft funktionieren.

 

Bis dahin scheint der Weg noch weit. Als Zeitzeugen, der das Dorfleben und das Großstadt-Dasein kennt, hat die Plasberg-Redaktion einen Schauspieler aus München eingeladen, der in Puchheim aufgewachsen ist. Puchheim ist eine 20.000 Einwohner-Stadt im Speckgürtel der Bayern-Metropole. Bestens angebunden im Münchner S-Bahnnetz, umzingelt von Autobahnen und geplagt von ausufernden Bauland-Preisen. Irgendwie kein guter Ort, um Vorzügen und Bedürfnissen der Provinz auf die Spur zu kommen.

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