SPD hängt die CDU auch in der Neuaufstellung ab

 

Von Jost Springensguth

 

Während zwischen SPD, Grünen und FDP hinter verschlossenen Türen der Prozess der Ampelfindung stattfindet, versuchen sich die von Olaf Scholz wachgeküsste SPD und die durchgeschüttelte CDU in ihren Parteiführungen jeweils neu zu sortieren.

Das wird in großen Teilen öffentlich zelebriert und lenkt davon ab, wie sehr es während der Koalitionsverhandlungen in den Inhalten offensichtlich noch gewaltig knirscht. Dabei haben sich die Sozialdemokraten mit fester Entschlossenheit darauf eingerichtet, die Regierungsrolle zu übernehmen. Sie überlassen den beiden Juniorpartnern in Spe die Kabbelei um Klima und Steuern. Dabei legen sie gleichzeitig einen sauberen Prozess zur eigenen Neuorganisation hin. Auch für die SPD ist es in der zu beobachtenden Konsequenz neu, wie klar dabei die Trennung von Parteispitze und Kanzleramt betrieben wird.

 

Brandt und Schmidt regierten ohne Kanzlerwahlverein

 

Auch zu den Glanzzeiten von Willy Brandt und Helmut Schmidt war ihre Partei alles andere als ein Kanzlerwahlverein. Was Olaf Scholz im Regierungsalltag dagegen zu erwarten hat, wird nicht nur eine ständige Arbeit an der Koalitionsdisziplin sein, sondern auch die Einbindung der eigenen Regierungsfraktion, von der bei der Stärke ihres jungen linken Flügels muntere Diskussionsbeiträge zu erwarten sind. Der Alltag im Regierungsviertel wird für den designierten Kanzler also anstrengend werden. Im Vergleich zu Kohl und Merkel mit Kanzleramt und Parteispitze jeweils in einer Hand, wird sich hier ein Kontrastprogramm entwickeln. Das hat die SPD inzwischen begriffen und organisiert die eigene Regierungsstabilität stärker aus der Parteizentrale heraus.

 

Anders ist es jedenfalls nicht zu verstehen, wenn nun nach dem geordneten Rückzug von Norbert Walter-Borjans weiter die beiden gegensätzlichen Flügel durch Lars Klingbeil und Saskia Esken die Spitze bilden sollen. Die Blaupause der Parteidisziplin während des Wahlkampfes soll demnach wohl weiterwirken. Von einem Mitgliedervotum ist in der SPD längst nicht mehr die Rede, man sortiert sich wieder lieber neu von oben her. Klingbeil hat gezeigt, wie eine durch Flügel- und Personalkämpfe ausgedörrte Volkspartei wieder wachgeküsst werden kann. Das haben sogar die in der Vergangenheit streitlustigsten Genossen erkannt. Es geht um die Macht – sonst nichts. Und das scheint zu funktionieren.

 

Mitgliederbefragung als vorübergehende Erscheinung

 

Die CDU dagegen macht weiter, wo sie aufgehört hat und bei dem, was die SPD hinter sich gelassen hat. Allein schon die Kandidatennominierung für den (oder wohl kaum die) nächste Vorsitzende(n) über eine Mitgliederbefragung ist das, was man in der Union in der Vergangenheit überhaupt nicht geschätzt hat. Es bleibt ein riskantes Spiel, das bei der SPD am Ende nur gut gelaufen ist, weil sich alle Beteiligten einer verordneten Disziplin unterworfen haben. Vergessen blieb, dass Scholz zunächst von den Mitgliedern mit seiner Bewerbung um den Parteivorsitz erst geradezu abgestraft wurde, um dann doch der neue Superstar für alle zu werden. Die Mitgliederbefragung ist damit kein Allheilmittel, sondern eine vorübergehende Erscheinung.

 

So etwas funktioniert im Prinzip nur, wenn sich eine ganze Partei auf einen Kandidaten zuspitzt. Das mag man zwar als undemokratisch einordnen, ist aber das Erfolgsmodell, das die Union lange gelebt, und vom dem sie sich schon inzwischen wieder weit entfernt hat. Der offene Konkurrenzkampf an der Spitze wird sich nach einer Wahl – basisdemokratisch oder als Delegiertenentscheidung – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weiter fortsetzen. In dieses Dilemma wird damit auch die nächste Parteispitze hineinrutschen, wenn es am Ende wieder um die Entscheidung zwischen zwei oder gar mehreren Köpfen geht. Und wenn dann gewählt ist, kommt in einer an Ämtern armen Oppositionspartei die Anspruchsfrage der neuen Führungskraft, auch die Fraktion zu übernehmen.

 

Wenn Merz es wird (und darauf deutet viel hin), wird er aus dem Amt des Fraktionschefs und Oppositionsführers hinaus das Kanzleramt anstreben. Von einer friedlichen und unumstrittenen Klärung ihrer Führung ist die CDU damit noch weit entfernt – bei gleich fünf Kandidaten, die auch noch aus einem Bundesland kommen.

 

Um das Thema Vorsitzendensuche zu komplettieren, kommt man an dem eigentlich autoritären Parteimodell AfD nicht vorbei, bei der sich die aktuelle Führungsspitze mit ihrer Zerstrittenheit allerdings antiautoritär gibt. Dabei scheint es die Stammklientel kaum zu kümmern, wie turbulent es in der Parteiführung zugeht. Jörg Meuthen streicht die Segel und hofft auf ein Comeback, wenn er im Europaparlament überwintert hat. Im Dezember wird wahrscheinlich ein kaum gemäßigtes und neben Tino Chrupalla komplettiertes Führungsduo übernehmen.

Bleiben bei der anstehenden Neusortierung der Parteiführungen die Grünen: Wenn Robert Habeck und Annalena Baerbock am Kabinettstisch Platz nehmen, ist es hier gesetzt, dass sie den gemeinsamen Parteivorsitz aufgeben. Da wird es dann wohl in der Nachfolgeregelung wieder gewohnt basisdemokratisch zugehen. 

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