Auf dem Weg nach Utopia

 

Von Michael Lehner

 

Die Wirtschaftsliberalen – und das meint nicht nur die FDP – haben ein Problem: Wenn die Löhne nicht deutlich steigen, müssen die Sozialausgaben steigen. Beides belastet die Volkswirtschaft. Und entlarvt die Illusion, dass Wachstum die Probleme lösen könnte, die in Wahrheit ein Problem der Ballungsräume sind.

 

Die Lebensmittelpreise steigen rasant und dennoch kommen viele Bauern kaum über die Runden. Die Großstadt-Mieten werden zur Armutsfalle, sogar für Gutverdiener. Mobilität wird unerschwinglich, wenn ihre Zukunft teure Elektroautos vorschreibt, statt auf kürzere Wege zu setzen.

 

Alle Zeichen deuten auf sinkenden Wohlstand. Und doch verspricht Politik ein Dasein ohne spürbaren Verzicht. Sogar ohne höhere Abgabenlasten, möglichst für alle Schichten. Dagegen steht absehbarer Anstieg der Altersarmut und ein Gemeinwesen, dessen Stabilität mehr und mehr auf Transferleistungen angewiesen sein wird.

 

Armut ist Gift für Demokratie

 

Es ist ratsam, in solcher Lage bei Karl Marx nachzulesen. Sein „Kapital beschreibt, wie sich liberale Gesellschaftsordnungen selbst ruinieren. Armut und sogar schon Armutsangst sind Gift für demokratische Strukturen. Sie stärken die Anfälligkeit für Heilsversprechen und die Sehnsucht nach Führer(innen).

 

Wer Marx nicht mag, wird auch bei Adam Smith fündig. Der Wegbereiter der Lehre vom sozialverträglichen Kapitalismus glaubt an die Fähigkeit, Reichtum zu teilen. Und diesen Reichtum dabei sogar noch zu mehren. Auto-Pionier Henry Ford, ein glühender Smith-Anhänger, lebte das Prinzip, dass seine Arbeiter genug verdienen müssen, um sich die Autos zu kaufen, die sie bauen.

 

Es ist zu bezweifeln, dass Tesla-Chef Elon Musk gelesen hat, wie Adam Smith die Rolle des idealen Unternehmers beschrieb. Die Menschen, die in der brandenburgischen „Giga-Factory“ übermotorisierte Elektroautos zusammenschrauben, werden sich kaum einen Tesla leisten können. Für sie bedeutet die „grüne“ Mobilität den Verlust derselben – ausgerechnet auf dem flachen Land.

 

Versprechen einer Wohlfühl-Welt

 

Wie eingangs angedeutet: Das Problem betrifft mitnichten nur die FDP. Sondern genauso jene Grünen, die dem Wahlvolk das ökologische Gesunden in einer Wohlfühl-Welt verheißen. Während Sprit an der Tankstelle binnen Jahresfrist um die Hälfte teurer wurde und die Pläne für mehr öffentlichen Nahverkehr im ländlichen Raum Papier-Tiger bleiben.

 

Ginge es nach Adam Smith, gäbe es Auswege ohne neue Steuern und ins Horrende steigende Sozialabgaben. Es müssten nur viel mehr Reiche

begreifen, dass Armut eine sehr schlechte Grundlage für wachsenden Reichtum ist. Dass zum Beispiel die Großstadt-Baulandpreise nur dann dauerhaft hoch bleiben, wenn sich Normalverdiener - von der Pflegekraft bis zur Kellnerin - das Leben in den Metropolen noch leisten können.

 

In der Realität stützt die Allgemeinheit längst die in Wahrheit abgewirtschafteten Großstadt-Strukturen. Mit Grundsicherung und Wohngeld, mit Ergänzungsleistungen für Geringverdiener und auch mit immensem Aufwand zur Linderung der Armutsfolgen. Sozialarbeit zum Beispiel oder Kriminalitätsbekämpfung in Problemvierteln.

 

Ländlicher Raum bietet Ausweg

 

Ein wenig Hoffnung macht, dass mittlerweile sogar Mainstream-Politik und

Massenmedien den ländlichen Raum als Ausweg entdecken. Mit erschwinglichen Preisen fürs Wohnen und fußläufigen Freizeitangeboten in natürlicher Umgebung. Mit intakten Strukturen und Zukunftschancen für eine Mittelschicht, der in den Ballungsräumen schleichende Verarmung droht.

 

Zur überfälligen Umkehr braucht es aber mehr als schnelles Internet. Zum Beispiel die Abkehr von aberwitzigen Sparplänen im Gesundheitswesen mit dem Aus für kleine Krankenhäuser. Oder vom Geschwindigkeitsrausch der Eisenbahn-Manager, der dafür sorgt, dass die Fahrzeit zwischen Großstädten immer kürzer wird – und vom Dorf in die Kreisstadt immer länger.

 

Schon vor einem halben Jahrhundert gab es die politische Idee, Fabrik-Gründer bei ihrer Standortwahl dorthin zu zwingen, wo die Menschen Arbeit brauchen und bezahlbaren Wohnraum haben. Jene, die solche Ideen für Utopie oder gar Sozialismus hielten, stehen heute vor einem Scherbenhaufen. Und vor einer Unternehmer-Flucht in eine Provinz, die auf solchen Wandel nur unzureichend vorbereitet scheint.

 

Letzteres belegen auch die Probleme mit der Tesla-Fabrik in Brandenburg: Es mangelt nicht nur am Wasser für die Akku-Produktion, sondern auch an leistungsfähigen Strukturen für die Menschen, die dort arbeiten und leben sollen. Aber bisher konzentriert sich die Daseinsvorsorge auf bessere Pendler-Verkehrsanbindung zur Hauptstadt – und nicht auf gleichwertige Lebensverhältnisse im Umfeld von Teslas Utopia.

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