Weniger Stallgeruch in der Bundespolitik

 

Von Christian Urlage

 

Der ländliche Raum und die Bauern werden im neu gewählten Deutschen Bundestag eine schlechtere Lobby haben als in der vorherigen Wahlperiode. Wenn das Parlament in Berlin am 26. Oktober zur konstituierenden Sitzung zusammenkommt, wird es zwar auf 735 Abgeordnete angewachsen sein, aber weniger Landwirte haben als bisher. Die rückläufige Entwicklung ist seit Jahren zu beobachten, und das nicht allein auf Bundesebene, sondern auch in den Kommunalparlamenten.

 

Im Bundestag wird sich dieser Trend vor allem auf den Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft auswirken, wo Fachpolitiker aus der Praxis gefordert sind oder anders formuliert: wo Stallgeruch nützlich ist. Hier werden Lücken aufgerissen, aus unterschiedlichen Gründen: Manche Bauern hören freiwillig auf – oder unterlagen bei der Kandidatenaufstellung. Und für viele politisch Interessierte mit eigenem Hof ist die Belastung wohl einfach zu groß. Mit dem Höfesterben sinkt der Einfluss der Agrarlobby.

 

Nicht mehr dabei ist zum Beispiel Alois Gerig, der seit 2015 Vorsitzender des Agrarausschusses im Bundestag war. Der CDU-Politiker aus Baden-Württemberg, Besitzer eines Ferienbauernhofs, hatte im Juli 2020 angekündigt, er wolle nicht wieder antreten. Drei Monate später erklärte auch Biobauer Friedrich Ostendorff aus dem Ruhrgebiet, dass er nicht mehr kandidieren wollte. Der 68-jährige Grünen-Politiker war der einzige praktizierende Landwirt seiner Partei im Parlament.

 

Niederlage für den Bauernpräsidenten

 

Johannes Röring, von 2012 bis 2020 Präsident des gut organisierten, großen Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbands, gehört dem Bundestag ebenfalls nicht mehr an, obwohl er selbst gerne weitergemacht hätte. Der CDU-Mann aus Vreden im Westmünsterland unterlag bei der parteiinternen Kandidatenaufstellung deutlich einer Lehrerin, was in Agrarkreisen aufmerksam beobachtet wurde. Auch der Christdemokrat Kees de Vries verlor bei der Nominierung. Der gebürtige Niederländer hatte nach der Wende in der DDR 1992 eine ehemalige Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft in Sachsen-Anhalt übernommen.

 

Nur noch sechs Landwirte verzeichnet jetzt die Datenbank des Deutschen Bundestages: Artur Auernhammer von der CSU, die baden-württembergischen CDU-Politiker Hermann Färber aus dem Wahlkreis Göppingen und Josef Rief aus dem Wahlkreis Biberach, außerdem der Christdemokrat Albert Stegemann aus der Grafschaft Bentheim im Westen Niedersachsens, der staatlich geprüfter Landwirtschaftsmeister und Leiter eines Milchviehbetriebs ist.

 

Über die Landeslisten haben die Diplom-Ingenieurin Carina Konrad (FDP) aus Rheinland-Pfalz und Landwirt Frank Rinck (AfD) aus Niedersachsen ihre Mandate erhalten. Zumindest Stallgeruch haben zwei Bauerntöchter aus dem Westen Niedersachsens: Gitta Connemann aus Ostfriesland und Silvia Breher aus Löningen bei Cloppenburg, auch wenn beide Jura studiert haben.

 

Wer will überhaupt Landwirtschaftsminister werden?

 

Fragt sich, wer künftig die Interessen der Schweinezüchter und Milchviehhalter im Agrar-Ausschuss vertritt, wer weit reichende Entscheidungen zu Gülle oder Blühstreifen trifft. Und wer der nächste Agrarminister im Kabinett wird. Falls es zu einer Ampel kommen sollte, stehen Landwirtschaft und Ernährung zumindest für die SPD nicht gerade oben auf der Agenda. Und auch der ehemalige schleswig-holsteinische Landwirtschaftsminister Robert Habeck strebt wohl ein ganz anderes Ressort an.

 

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