Versorgungsmängel und Hochkonjunktur der Reedereien

 

Von Jürgen Muhl

 

Es ist kaum drei Jahre her, da kämpften die ohnehin dezimierten deutschen Reedereien ums nackte Überleben. Es gab kaum Aufträge und wenn, reichten die auf dem Meeresgrund liegenden Margen nicht aus, um die Kosten zu decken. Das Bild hat sich nicht nur gewandelt, es hat sich um 180 Grad gedreht. Es gibt nicht genug Frachter, um die Nachfrage im Containerverkehr und bei den Tankerflotten auch nur halbwegs bedienen zu können. Was auf dem Nord-Ostsee-Kanal täglich zu beobachten ist. In dichter Reihenfolge ziehen Frachter und Tankschiffe durch die noch immer meistbefahrene Wasserstraße der Welt. Schiff auf Schiff - das hat es in dieser Form über Jahre nicht mehr gegeben.

 

Besonders gestiegen ist die Zahl der Gastanker, die aus Russland in Richtung Westen unterwegs sind. Solange die umstrittene Pipeline Nord Stream 2 nicht ihren Betrieb aufnehmen kann, bleibt die Lage angespannt. Besonders betroffen ist Großbritannien, hier ist die Versorgungssicherheit nicht mehr gegeben. Spekulationen, wonach die Russen versuchen, eine künstliche Verknappung von Erdgas herbeizuführen, um den politischen Gegenwind zur Genehmigung der Pipeline zum Erliegen zu bringen, nehmen Fahrt auf.

 

Kaum noch freie Kapazitäten auf dem Tankermarkt

 

Derzeit gibt es sowohl auf dem Tankermarkt als auch im Containersektor kaum noch freie Kapazitäten. Wodurch die Margen für die Reedereien steigen. Jeden Tag aufs Neue. Dies gilt auch für die Kraftstoff-Tankerflotten. Die Schiffe sind von Amsterdam in Richtung Osteuropa und Skandinavien im pausenlosen Einsatz. Dabei werden Diesel und Benzin zunehmend knapp und teuer.   

 

"Das Geschäft lohnt sich wieder", freut sich ein Rendsburger Reeder, der selbst am Steuer seines Schiffes steht und auf Höhe der Schiffsbegrüßungsanlage unter der Eisenbahnbrücke in seiner Heimatstadt zum Hupkonzert bläst. "Vieles erinnert mich an die Ölkrise in den 70er-Jahren, fügt der mittelständische Unternehmer hinzu.

 

Passierten vor dieser Krise rund 100 Schiffe täglich den fast 100 Kilometer langen Kanal, so sind es derzeit an die 150 Schiffsbewegungen über Tag und Nacht. Vor den Schleusen in Kiel und Brunsbüttel kommt es zeitweise zu längeren Wartezeiten. Was auch damit zu tun hat, dass die Passage kostengünstig ist. Die zum Höhepunkt der Corona-Krise beschlossene Aussetzung der Befahrensabgabe hält noch bis Ende des Jahres an. Lediglich die Kosten für die Lotsen-Einsätze fallen an.

 

Massive Auswirkungen auf die Versorgungslage zu erwarten

 

Das Geschehen auf dem Nord-Ostsee-Kanal mit dem boomenden Schiffsmarkt gibt ein wenig Aufschluss über die angespannte wirtschaftliche Lage in Teilen Europas. Dazu gehört auch der deutsche Einzelhandel. 75 Prozent der Händler klagen über Liefer-Schwierigkeiten. Die rapide steigenden Energiepreise kommen hinzu. Betroffen sind auch die Zeitungsverlage. Papier ist knapp und teuer, ein Teil der Verlage hat bereits die Umfänge ihrer Titel stark reduziert. Ein Ende dieser Situation ist derzeit nicht abzusehen. Unternehmen und Auftraggeber im Ländlichen Raum sind mit ihren weiten Anfahrtswegen besonderen Belastungen ausgesetzt. Die in die Höhe schießenden Spritpreise werden für Pendler und berufsabhängige Autonutzer zur schwer tragbaren Hypothek.

 

Angesichts der anhaltenden globalen Lieferengpässe sieht der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) einzelne Unternehmen „ganz schön in der Klemme“. Es gebe Firmen, „die in existenzielle Bedrohung kommen bei vollen Auftragsbüchern“, sagte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben. Er sprach von einem „ernsten Problem“ und einer fast schon „paradoxen“ Lage. Wansleben nannte als Beispiel Firmen, die Bauzusagen an Käufer gegeben haben, und sich dann mit gestiegenen Einkaufspreisen für Materialien und Engpässen konfrontiert sehen. Das bedeute nicht nur Kosten, die nicht einkalkuliert seien, sondern auch mögliche Strafzahlungen oder Kompensierungen für verzögerte und nicht termingerechte Lieferungen.

 

Die Sorge um die Entwicklung der Energiepreise

 

Ganz aktuell liege der Fokus auch auf der Entwicklung der Energiepreise. Hier müsse etwa darauf geachtet werden, „dass die Stromversorger nicht in Engpässe kommen, denn die müssen Vorsorge treffen, wenn die Preise steigen“, führte Wansleben aus. „Wenn die Energiezufuhr nicht mehr funktioniert, haben wir ein ernstes Problem.“ Langfristig müsse auch das Thema Globalisierung neu austariert werden. Wansleben sprach von einer notwendigen „anderen Streuung von Produktionsstätten“ und einer „regionalen Streuung von Lieferketten“. Internationale Arbeitsteilung bedeute nicht, dass „alles nur in China produziert“ werde.

 

In der schleswig-holsteinischen Stadt Itzehoe platzt dagegen das zur Tietje-Group gehörende "China-Logistik-Center" aus allen Nähten. Die Lagerfläche von 85.000 Quadratmetern ist bis auf das letzte Regal gefüllt mit Produkten für den Einzelhandel. "Wir sind für das Weihnachtsgeschäft bestens gerüstet", sagt Seniorchef Gustav Tietje. Dies ist offenbar eine Ausnahme im gegenwärtigen Handelsgeschäft. 

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