Das Talent aus Rhede

 

Von Wolfgang Kleideiter

 

Die Stabübergabe erfolgt anders als geplant. Während Armin Laschet an der Spree mutmaßlich leer ausgehen wird, könnte Hendrik Wüst am Rhein als jüngster NRW-Ministerpräsident Geschichte schreiben. So ist das politische Geschäft. Auf- und Abstieg treffen aufeinander. Auch Freunde müssen das verkraften.

 

Hendrik Wüst wird, wenn Landespartei, Landtagsfraktion und Koalitionspartner FDP zu ihm stehen, als Nachfolger von Laschet Ministerpräsident und CDU-Landeschef im größten Bundesland werden. Mit 46 Jahren, aber mit einem Erfahrungsschatz ausgestattet, der die Altersfrage zur Nebensache degradiert: 16 Jahre im Landtag, vier Jahre Generalsekretär der NRW-CDU, seit 2013 Landesvorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, seit 2017 Verkehrsminister im Laschet-Kabinett. Nach außen modern aufgestellt und doch heimatverbunden, traditionell und nah an der Basis, im Parlament ebenso wie in der Parteizentrale zuhause. Laschets Wahlvorschlag hat durchaus etwas. Wüst ist gerade wegen seiner verschiedenen Facetten im Politikbetrieb ein Talent. Den ländlichen Raum kennt der Münsterländer aus dem Effeff.

 

Strategisches Werben um die FDP

 

Schon am 15. Mai 2022 wird in Nordrhein-Westfalen der neue Landtag gewählt. Gelingt es Hendrik Wüst in den verbleidenden Monaten Akzente zu setzen und sein Profil zu schärfen, hat er als Amtsinhaber gegenüber der Konkurrenz einen Startvorteil. Sein schon jetzt erkennbares Werben um die FDP ist strategisch sinnvoll. Wenn die Liberalen in NRW wie im Bund umschwenken würden, hätte der Mann aus Rhede im Mai kaum eine Chance.

 

Die SPD will ihr altes Stammland zurückerobern. Unterm Strich haben die Sozialdemokraten in den Jahrzehnten seit 1946 fast 45 Jahre den Ministerpräsidenten in NRW gestellt. Auf SPD-Frau Hannelore Kraft folgte 2017 Armin Laschet. Hendrik Wüst erwarb sich erste Meriten unter Kraft-Vorgänger Jürgen Rüttgers.

 

SPD hofft auf Rückenwind durch Wahlerfolg im Bund

 

Thomas Kutschaty, SPD-Fraktions- und Parteichef in NRW, charakterisiert Wüst „als hoch anerkannten Politiker, den man ernst nehmen muss“. Die Würdigung und Gratulation zum angepeilten neuen Amt ist eine Geste – mehr nicht. Kutschaty, von 2010 bis 2017 NRW-Justizminister, will regieren. Die Bundestagswahl brachte seiner Partei den erhofften Rückenwind. Mit 29,1 Prozent der Stimmen ist die SPD in Nordrhein-Westfalen augenblicklich wieder stärkste politische Kraft – erstmals seit 2005.

 

Die NRW-Grünen verbuchten bei der Bundestagswahl ein deutliches Plus. Der Stimmenzuwachs fiel mit von 8,5 Prozentpunkten höher aus als im Bund. 28 statt bisher elf NRW-Grüne sitzen im neuen Bundestag – sie stellen fast ein Viertel der grünen Abgeordneten. Darunter ist auch Felix Banaszak, Landesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen. Co-Landesvorsitzende Mona Neubaur hat nach dessen Wechsel nach Berlin gute Aussichten, als Spitzenkandidatin in NRW anzutreten. Festlegen wollen sich die NRW-Grünen aber erst im Dezember.

 

Hendrik Wüst wird die liberale Unterstützung bei seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten bekommen. Die Signale sind positiv. Ihm wird ein fairer Umgang in der bestehenden schwarz-gelben Koalition nachgesagt. Aus der Vergangenheit, die nicht frei von Fehlern war, hat Wüst gelernt.

 

Erneuerung der CDU: wie und mit welchen Themen?

 

Ein Land führen, ist schon schwer genug. Als designierter CDU-Chef in NRW kommt auf Hendrik Wüst aber auch noch eine weitere Herausforderung zu. Die CDU hadert mit ihrer Außendarstellung und mit ihrer inneren Verfassung. Von Erneuerung ist aktuell viel die Rede. Doch wie und mit welchen Themen und Personen?


Eine schwierige Debatte steht bevor, an der sich auch Hendrik Wüst beteiligen wird. Mit Stefan Mappus, Markus Söder und dem verstorbenen JU-Chef Philipp Mißfelder hat er 2007 ein Positionspapier verfasst: „Moderner bürgerlicher Konservatismus - Warum die Union wieder mehr an ihre Wurzeln denken muss“. Wüst ging es dabei nicht um Scharfmacherei oder einen Effekt, sondern um eine ernsthafte Auseinandersetzung. Auch wenn man ihn jetzt eher in der Mitte verortet, an seinen Werten hat Wüst stets festgehalten.

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