Von Köchen und Kellnern

 

Von Jürgen Wermser

 

Egal, ob es am Ende in Berlin eine Ampel- oder vielleicht doch eine Jamaika-Koalition geben sollte: Künftig werden Grüne und FDP auf Augenhöhe mit dem zahlenmäßig größeren Partner regieren. Dies ist für alle Parteien eine völlig neue Erfahrung. Der frühere SPD-Kanzler Gerhard Schröder hatte einmal mit Blick auf seinen grünen Koalitionspartner gesagt, es müsse klar sein, wer Koch und wer Kellner sei. Damit würde er heute bei Annalena Baerbock und Robert Habeck nur noch ein müdes Lächeln hervorrufen.

 

Mehr noch: Die Grünen-Chefs geben momentan zusammen mit der engsten FDP-Führung den Takt vor, nach dem sich die Großen - sprich Olaf Scholz und Armin Laschet - zu richten haben. Durch das Wahlergebnis sitzen sie im Machtpoker am längeren Hebel und können sich Union oder SPD als Dritten im Bunde nach Belieben aussuchen. Diese Kräfteverschiebung dürfte sich auch nach erfolgreicher Koalitionsbildung nicht wieder komplett rückgängig machen lassen.

 

Folgen für den ländlichen Raum

 

Entsprechend tiefgreifend könnten Veränderungen und Brüche in den Politikbereichen werden, die den „kleinen“ Parteien besonders am Herzen liegen. Für den ländlichen Raum sind dies vor allem die Kernforderungen der Grünen bei den Themen Klima-, Natur- und Umweltschutz sowie Energie und Landwirtschaft.

 

Eine solche Konstellation eröffnet einerseits die Chance, gemeinsam mit allen Betroffenen endlich zu zukunftsträchtigen Lösungen zu kommen. Andererseits drohen aber heftige wirtschaftliche und soziale Konflikte, falls ideologisch gefärbte Konzepte ohne Augenmaß durchgedrückt werden sollten. Man denke nur an die Gelbwesten-Bewegung in Frankreich, als Präsident Emmanuel Macron zur Finanzierung und Durchsetzung der Energiewende fossile Brennstoffe drastisch höher besteuern wollte. Gerade im ländlichen Bereich kam es daraufhin zu heftigen und gewalttätigen Protesten, weil sich Menschen finanziell ausweglos in die Ecke gedrängt fühlten. Die Lage geriet zeitweise außer Kontrolle.

 

Viele fühlen sich übergangen

 

Von einer solch dramatischen Zuspitzung sind wir in Deutschland zum Glück noch ein weites Stück entfernt. Gleichwohl: Auch hierzulande gibt es jenseits der großen Zentren Teile der Bevölkerung, die sich von der „hohen Politik“ mittlerweile übergangen fühlen: Berufstätige und Familien, die notgedrungen weite Strecken mit dem Auto fahren müssen und sich fragen, wie lange sie dies noch finanzieren können. Oder Landwirte, die um ihre Existenz fürchten, weil die Kosten immer mehr steigen, während gleichzeitig die Erlöse sinken.

 

Sie alle werden genau hinschauen, was jetzt in Berlin sondiert oder später verhandelt wird. Deshalb sollten gerade die kleinen Parteien, die sich momentan so stark fühlen, nicht politisch übermütig werden und nach der Devise verfahren wollen: Erfüllst du meine Maximalforderung bei dem einen Thema, erfülle ich deine beim anderen Thema. Denn dann würde alle verlieren, die aktuellen Wahlgewinner genauso wie die Bürger zwischen Flensburg und Füssen.

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