Weniger ist mehr

 

Von Jürgen Wermser

 

Klagen über zu viel Bürokratie gehören seit Jahrzehnten zu den Dauerbrennern in der Politik. Ebenso Forderungen nach einem Abbau umständlicher Verwaltungs- und Genehmigungsverfahren sowie allzu üppig besetzter Behörden-Apparate. Immer wieder haben Regierungen versprochen, das Problem zu mildern oder gar zu lösen. Doch in der praktischen Umsetzung hat es dann immer wieder gehakt.

 

Viele Bürger resignieren deswegen schon und halten Rufe nach weniger Bürokratie für weltfremd - ein gefährlicher Irrweg. Denn ein schlankerer Staat bleibt gerade in der aktuellen Wirtschaftslage das Gebot der Stunde, selbst wenn die meisten Parteien dieses Thema im Bundestagswahlkampf eher stiefmütterlich behandeln.

 

Konkreter Maßnahmenkatalog

 

Die Union - allen voran Armin Laschet und Friedrich Merz - macht sich zwar für einen raschen Bürokratieabbau stark. Und Laschet hat kürzlich gemeinsam mit dem Koalitionspartner FDP in seinem Bundesland NRW einen konkreten Maßnahmenkatalog vorgelegt. Aber die politische Konkurrenz schenkt dem nicht allzu große Beachtung. Motto: Mit Forderungen nach mehr Geld oder schärferen Gesetzen lassen sich mehr Prestige und Publicity bei den Wählern gewinnen.

 

Das mag vordergründig auch so sein. Doch unter dem Strich könnte vieles für Steuerzahler, Firmen und Beschäftigte deutlich günstiger werden, wenn der Staat schneller und effektiver agieren würde.

 

Wieder von vorn planen

 

Ein konkretes Beispiel liefert die Kritik von Tennet-Manager Tim Meyerjürgens an wiederholten Eingriffen der Politik in Planungsverfahren. So beklagte der Chef des größten deutschen Stromnetzbetreiber, dass etwa die Gleichstromtrasse SuedLink als Überlandleitung geplant gewesen sei, bevor die Politik auf einer Erdverkabelung bestanden habe. „Da mussten wir die Planung noch einmal bei Null beginnen“, sagte Meyerjürgens dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Allein diese Entscheidung habe sein Unternehmen drei Jahre gekostet.

 

Auch kritisierte der Tennet-Chef die extreme Detailtiefe in den Planungsverfahren. Diese zwinge dazu, praktisch alles im Vorhinein festzulegen. Die Verfahren würden deshalb entsprechend lange dauern: „Liegt die Genehmigung dann endlich vor, könnten die Pläne schon wieder veraltet sein. Auch dann fängt man wieder von vorne an“, so Meyerjürgens.

 

Für den Wirtschaftsstandort Deutschland ist dies ein Armutszeugnis. Investitionen und Modernisierungen verteuern sich oder entfallen ganz, Arbeitsplätze geraten in Gefahr. Auch für die immer wieder propagierte Energiewende entstehen große Risiken, wenn ökologisch sinnvolle Bauprojekte über Gebühr verschleppt werden.

 

Bürger weiterhin beteiligen

 

Eine vielfach geäußerte Befürchtung ist unbegründet: Änderungen in den Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen nicht zu Lasten von Bürgerbeteiligung und Rechtsweg erfolgen. Im Gegenteil, hier kann verantwortungsbewusster und konstruktiver gehandelt bzw. geurteilt werden, je konkreter und zeitnäher sich die Ausmaße und möglichen Folgen von Projekten abzeichnen. Anders gesagt: Was in ein, zwei oder drei Jahren realisiert werden soll, lässt sich unter Umständen von den Betroffenen besser einschätzen als etwas in weiterer Ferne Liegendes. Nur kompromissunwillige Personen, Initiativen oder Organisationen, die ihr Klagerecht politisch missbrauchen, sollten bei einer Reform zu den Verlierern gehören.

 

Fazit: Für die neue Bundesregierung - egal welcher Couleur - bleibt in Sachen Bürokratieabbau reichlich zu tun. Leider besteht jedoch kein Grund zu allzu großem Optimismus. Im Gegenteil, eher scheint ein gerüttelt Maß an Skepsis geboten. Denn die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, dass Reformbefürwortern am Ende vielfach doch der Mut oder die Mehrheiten für tiefgreifende Reformen fehlen. Umso wichtiger, dass die Bürger für Druck sorgen und das Thema Bürokratieabbau zu einem ihrer Hauptanliegen machen…

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