Eile mit Weile

 

Von Wolfgang Molitor

 

Jeder kennt wohl aus eigener Erfahrung Beispiele, wenn es um Verzögerungen bei Infrastrukturmaßnahmen geht. Und er weiß:  Gründe dafür gibt es viele. Was nicht weiterhilft. Denn die Projekte bleiben liegen, verzögern sich oder fallen einfach aus der Zeit.

 

In Baden-Württemberg wurde jetzt ein Straßen- und Tunnelprojekt mit großem Tamtam fertiggestellt, das nicht nur die Bewohner eines Friedrichshafener Vororts hocherfreut, durch den sich pro Tag rund 27.000 Fahrzeuge quälten und in den Wohnzimmern die Gläser im Schank tanzen ließen. Erschütternd.

 

Die Verkehrsminister von Bund und Land waren angereist, um ihrer Freude Ausdruck zu verleihen. Und ernst zu mahnen, dass es künftig nicht mehr so lange dauern dürfe, bis so ein Verkehrsprojekt fertig gebaut sei. Denn das ist die andere Seite der Friedrichshafener Medaille: Zwischen den ersten Ausbau-Forderungen und dem glücklichen Ende sind rund 50 Jahre ins Land gezogen.

 

Das letzte Teilstück der neuen Bundesstraße 31 am Bodensee steht für eine Entwicklung, unter der viele Projekte in Deutschland leiden. Es geht um politische Verzögerungen, technische Neuerungen, zusätzliche Auflagen und – nicht zuletzt – juristische Ränke, die sich wie Mehltau auf vieles legen, was mit Verbesserungen und Modernisierung der Infrastruktur zu hat.

 

Verzögerungen durch Gerichte

 

Oft sind die Einsprüche vor Gericht – nach jahrelangen Planfeststellungsverfahren und gemächlichen Verwaltungsabläufen – nur dazu da, für weitere Verzögerungen sorgen zu wollen. Stets in der Hoffnung, die politische Zustimmung ins Gegenteil drehen zu können oder den Kostenrahmen so zu sprengen, dass sich manches nicht mehr rechnen oder rechtfertigen lässt.

 

Das Bahnprojekt Stuttgart 21, das jetzt 2025 fertig werden soll, ist noch immer ein Paradebeispiel dafür. Ein Spielball im politischen Parteiengezänk, ein Spielfeld für seltsame Öko-Aktivisten und noch seltsamere Expertisen. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert schleppt sich S 21 dahin. Ein Meisterwerk der Ingenieurskunst, architektonisch, aber erkennbar aus einer anderen Zeit. Die horrenden Kostenexplosionen zeigen: Ein Milliarden-Projekt, das keinen richtigen Anfangszeitpunkt hat, ist chancenlos, ein seriöses Bauende zu benennen. Und ist erst recht außer Stande, einen Kostenrahmen halbwegs einzuhalten, der von Konjunkturen, Preissteigerungen, Materialverknappung und ständig neuen Auflagen (Sicherheit, Brandschutz, Baumaterial oder Borkenkäferbestand) getrieben wird.

 

Schaden für Wirtschaftsstandort

 

Was in Friedrichshafen und in Stuttgart im Kleineren wie im ganz Großen passiert ist, schadet dem Wirtschaftsstandort Deutschland. Und es erschüttert den Mut, Neues auch auf Schiene und Straße (geschweige denn an Flughäfen) zu wagen. Die Politik zuckt immer öfter zurück, weil sie ahnt, letztlich den Überblick zu verlieren und sich wegen explodierender Kosten angreifbar zu machen.

 

Und noch eins gehört hierhin: Manche Projekte mögen Jahrzehnte von Planung bis Fertigstellung überstehen. Etwa der waldfressende Weiterbau der A49 durch den Dannenröder Forst. Selbst Befürworter räumen heute ein, dass das in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts geplante Autobahnprojekt mehr ein Planungsdinosaurier als ein unverzichtbarer Infrastrukturfortschritt ist – und eigentlich nicht mehr in die Zeit einer Mobilitätswende passt.

 

In Friedrichshafen immerhin herrscht bei allen Beteiligten eitel Freude. Nach 50 Jahren gibt es endlich einen Grund dafür.

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