… oder fragen Sie das RKI

 

Von Wolfgang Kleideiter

 

Ausgerechnet bei der mit Argusaugen beobachteten Corona-Impfquote, die viel Einfluss auf Schutz- und Lockerungsmaßnahmen in der Gesellschaft hat, versagt die deutsche Gründlichkeit. Fast müsste man die tägliche Impf-Nachricht mit einem Hinweis versehen: „Bei Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie das Kleingedruckte oder fragen Sie das RKI.“

 

Denn tatsächlich hat das Digitale Impfquotenmonitoring (DIM), ein gemeinsam vom Robert-Koch-Institut und der Bundesdruckerei bereitgestelltes Erhebungssystem, verschiedene und bei genauem Hinsehen hausgemachte Schwächen.

 

Der Datensatz, der Grundlage für Impfaussagen im RKI-Tages- und Wochenbericht ist, speist sich aus verschiedensten Quellen. Impfzentren, mobile Impfteams und Krankenhäuser waren früh in das Geschehen und das Meldeverfahren eingebunden. Die Kassenärzte impfen erst seit Anfang April, die Betriebs- und Privatärzte seit Anfang Juni.

 

Unterschiedliche Meldewege

 

Die Praxisärzte bekamen über ihre Kassenärztliche Bundesvereinigung bzw. ihre Privatärztlichen Abrechnungsstellen ein Portal zur Verfügung gestellt. Die Daten aus den Arztpraxen fließen über diese beiden Adressen an das RKI. Bei den Betriebsärzten gibt es sogar drei Meldewege, die die Übersicht zusätzlich erschweren. Manche Daten der Betriebsärzte laufen direkt ins DIM ein, andere auf dem Umweg über die Impfzentren der Länder oder wahlweise über das Portal der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.

 

Als es das RKI nur mit den Impfzentren der Länder und Impfteams zu tun hatte, konnte es noch sehr genau das Impfgeschehen darstellen. Zahlen für einzelne Landkreise, kleinere Altersgruppen und Impfstoffe lagen vor – viele Details waren verlässlich abrufbar.

 

Viele Daten nicht mehr erhoben

 

In den Hausarztpraxen werden viele dieser Daten gar nicht mehr erhoben. Dort wird zum Beispiel meist nur noch mit den Alterseinteilungen „<18, 18-59, 60+“ gearbeitet. Einen Bezug zum Impfstoff gibt es nicht. Erschwert wird die Einordnung der Meldungen zusätzlich dadurch, dass der Impfstoff von Johnson & Johnson bei Ärzten und Geimpften direkt als Zweitimpfung gilt. Doch wo war die Erstimpfung? Inzwischen gibt es Zweifel an dem angeblich mit einer Dosis erreichten Schutz. Schuld ist die Delta-Variante.

 

Dass Impfquoten mit Vorsicht zu genießen sind, zeigt schon die Spanne der Zahlen aus den einzelnen Bundesländern. Hier gehen auch aktuell noch die Quoten um bis zu 20-Prozent-Punkte auseinander. Als gäbe es tatsächlich zwischen Sachsen und Bremen in punkto Impfbereitschaft einen dermaßen großen Unterschied. Haben sich aber in Bremer Impfstellen tatsächlich nur Bremer impfen lassen?

      

Die Verwirrung auf die Spitze getrieben haben verschiedene Umfragen zur Impfquote. Das Robert-Koch-Institut - zweifellos mit den Schwächen des eigenen Monitorings vertraut – erwies sich selbst einen Bärendienst, als es Ergebnisse einer eigenen Telefonumfrage veröffentlichte. Bei dieser gaben 79 Prozent der wahllos herausgepickten 18- bis 59-Jährigen an, bereits erstgeimpft zu sein. Im eigenen Monitoring kam das RKI auf eine Erstimpfquote von gerade einmal 59 Prozent.

 

Verwirrspiel beim RKI

 

Dieses Verwirrspiel unter einem Dach animierte die FAZ zur ironischen Schlagzeile „Wo sind die Geimpften hin?“. Jetzt will das Robert-Koch-Institut, das dem Dateneingang offenbar selbst misstraut, im Herbst mit einer neuen, noch intensiveren Befragung der Quote auf den Grund gehen.

 

Mit Blick auf die erhoffte Herdenimmunität wäre es wünschenswert, wenn man in Deutschland wüsste, ob man einem Impfweltmeister wie Malta (über 90 Prozent) auf den Fersen ist oder wie der einstige Impfprimus Israel bei knapp über 60 Prozent verharrt und beim Schutz vor Corona nicht richtig vorankommt.

Vorerst wird man aufgrund der Abweichungen aber weiter im Nebel stochern. Mit der unerfreulichen Folge, dass in der Politik die unterschiedlichen Quoten nach Belieben in die Argumentation mit einfließen können.

      

Die deutsche Impfquoten-Wahrheit liegt vermutlich in der Mitte zwischen DIM-Wert und dem Ergebnis verschiedener Befragungen - hier etwas zu wenig, dort etwas zu hoch. Aber mit Fakten belegen kann dies zurzeit niemand. 

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