Kräftemessen in der Heimat

 

Von Wolfgang Kleideiter

 

Der „Rasende Roland“ auf Rügen hat hier seine Endstation. In Göhren können Touristen die Waggons der auf schmalen Gleisen gemütlich zockelnden Dampflok verlassen und sich im kleinen Seebad vergnügen. Kulinarische Angebote und Unterkünfte gibt es reichlich, kleinere Sehenswürdigkeiten auch – und der Weg zum Ostseestrand ist nicht weit.

 

Filmemacher Christoph Eder hat in Göhren seine Kindheit verbracht, am einsamen Ufer die zahmen Wellen gejagt und die Natur genossen. Stehen geblieben ist die Zeit seitdem natürlich nicht. Der Tourismus hat das Dorf zwar schon vor Jahrzehnten erreicht, aber der damit verbundene Wandel hat erst richtig Fahrt aufgenommen, als 1990 ein gewiefter Investor aus dem Westen das verträumte Fleckchen ehemalige DDR entdeckte. Vor allem für sich und seine Geschäfte.

 

„Herr Horst kauft sich ein Dorf“ berichtete schon vor einigen Jahren die ZEIT in einer Reportage über das große Kräftemessen im kleinen Ort. Gemeinderat, Bürgerinitiative, Investor – die Hauptbeteiligten eines Machtkampfs, der am Ende meist nur den Investor als Sieger kannte. Selbst dann, wenn es zum Nachteil der Gemeindekasse war.

 

Sinn von Investitionen prüfen

 

Christoph Eder legt nun in einem sehr persönlichen Film nach und stellt schon im Titel eine Frage, die viele Dorfgemeinschaften umtreibt. Dabei geht es beileibe nicht darum, jede Veränderung zu verteufeln und unbedingt am Alten festzuhalten. Aber darum, den Sinn und Zweck von außerhalb in die Gemeinde getragenen Investitionen zu prüfen und zu diskutieren.

 

In Göhren trägt der Nordstrand mit der in die Ostsee führenden Seebrücke an vielen Stellen längst die Handschrift des Investors, der Hotels, Ferien- und Wohnobjekte im großen Stil realisiert hat. Auch Alteigentümer haben Wohnungen und Zimmer zu Ferienzwecken umgenutzt. Neubauten in Göhren haben oft nur den Zweck, mehrere Monate im Jahr als Urlaubsdomizil zu dienen. In der übrigen Zeit des Jahres stehen sie meist leer.

 

Nach dem Nordstrand ist inzwischen der naturbelassene Südstrand in den Fokus der Projektentwickler geraten. Eine dort lange Zeit einsam gelegene Klinik der Rentenversicherung hat bereits einen neuen Nachbarn bekommen. Keine Klinik, sondern im ersten Schritt ein Wellnesshotel. Und es gibt weitere Pläne für neue Objekte in Strandnähe.

 

Alle kommen zu Wort

 

In Eders Film kommen alle zu Wort, die in Göhren mitreden: Bürgermeister, Gemeinderatsmitglieder, Kritiker von Baumaßnahmen in Landschaftslagen, Investoren. Die Konfliktlagen sind bekannt, die Strukturen des Netzwerks auch. Eine kleine Welt an der Endstation des „Rasenden Rolands“.

 

Die Jury der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW) in Wiesbaden gab der Doku „Wem gehört mein Dorf?“ das Prädikat „besonders wertvoll“. Denn Eder kommt den Menschen in Göhren zwar sehr nah, stellt sie aber nicht bloß, wenn Einzelinteressen und Gemeinwohl aufeinandertreffen.

 

Der Konflikt ist nicht untypisch für die Gemeinden auf dem Land. Schon die Idee, ein Baugebiet zu erschließen, kann bekanntlich im Dorf einen erbitterten Streit auslösen. Eders in langer Drehzeit entstandener Film endet allerdings nicht in den Gräben des Konflikts, sondern mit dem Tag der turnusmäßigen Kommunalwahl für den zehnköpfigen Rat.

 

Hier stellen sich – demokratisch korrekt – erstmals auch jene zur Wahl, die die Zukunft ihres Dorfes nicht allein im Tourismus sehen, sondern auch einen unverbauten Blick auf die Ostsee schätzen und Objekte mit Maß anstreben. Als Wählerinitiative „Bürger für Göhren“ erhalten sie auf Anhieb 40 Prozent und stellen die stärkste Fraktion im Rat. 

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