Abstimmung an der Fleischtheke

 

Von Jürgen Wermser

 

Im Grunde sind alle dafür, das Tierwohl in deutschen Ställen zu verbessern. Discounter wie Aldi wollen in den kommenden Jahren ihr Fleischangebot entsprechend anpassen. Auch die Landwirte und die großen Schlachtbetriebe unterstützen solche Bestrebungen grundsätzlich. Und die Verbraucher sind sowieso dafür - allerdings oft nur dann, wenn sie öffentlich gefragt und nicht im Supermarkt an der Fleischtheke stehen.

 

Es wird leider immer noch zu häufig zum billigsten Stück Wurst oder Schnitzel gegriffen, das in Sachen Tierwohl am unteren Ende der Skala produziert wurde. Dieses Kaufverhalten muss sich mittel- und langfristig in Richtung Qualität und damit auch höhere Preise ändern. Anderenfalls bleiben die Bestrebungen für mehr Tierwohl letztlich bloße Lippenbekenntnisse.

 

Der gute Wille zur Umstellung ist bei Landwirten, Schlachtbetrieben, Fleischverarbeitern, der Futtermittelindustrie und beim Lebensmitteleinzelhandel vorhanden, wie die von ihnen gegründete Initiative Tierwohl (ITW) zeigt. Diese soll für einen finanziellen Ausgleich sorgen, wenn etwa ein Schweinezüchter seinen Betrieb auf weniger Tiere und mehr Platz umstellt. Pro Schwein gibt es dann zusätzlich 5,28 Euro, ausgezahlt vom jeweiligen Schlachtbetrieb.

 

Zuschläge nicht ausgezahlt

 

So weit so gut, aber in der Praxis kann es hier doch zu Problemen kommen. So beklagte jüngst Hubertus Beringmeier, Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes (WLV) gegenüber dem Westfalen-Blatt, dass viele Landwirte, die bei der Tierzucht die Kriterien der Tierwohlinitiative bereits erfüllt hätten, den versprochenen Zuschlag pro Tier nicht ausgezahlt bekämen. Das ist für die betreffenden Betriebe fatal, denn ihre Wettbewerbsfähigkeit wird auf diese Weise gefährlich untergraben: Wer teurer als die Konkurrenz produziert und trotzdem nur den gleichen Preis erzielt, steht finanziell auf verlorenem Posten.

 

Gewiss, es mag verschiedene Gründe geben, weshalb der versprochene Zuschlag im Einzelfall nicht oder nur verzögert ausgezahlt wird. Doch selbst wenn es hier Verbesserungen geben sollte, die grundlegende Herausforderung bei der Mega-Reform bleibt: Wer zahlt all dies, damit die Landwirte nicht am Ende die Dummen sind. Denn sie sind es, die häufig Hunderttausende, wenn nicht gar Millionen Euro investieren müssen, um die Tiere artgerechter zu halten. Das sind Größenordnungen, die einen Betrieb langfristig finanziell binden bis hin zu knebeln. Fällt hier die Geschäftsgrundlage - sprich höherer Erlös für tierwohlgerechteres Fleisch weg - steht die Existenz auf dem Spiel. Das ist in keiner Weise betriebswirtschaftlich, politisch und auch menschlich zu verantworten.

 

Betriebe brauchen Sicherheit

 

Hier hilft nur eines: Finanzielle Sicherheit für den einzelnen Betrieb, so wie es die Borchert-Kommission empfohlen hat. Doch Steuergeld darf dabei nur das allerletzte Mittel sein. Zuallererst sind die Verbraucher gefordert. Sie sollten sich stärker dazu durchringen, für mehr Qualität auch mehr zu zahlen. Denn nur wenn die Konsumenten dauerhaft mehr Geld in den Kreislauf von Produktion über Fleischverarbeitung bis hin zu Verzehr pumpen, können die Strukturveränderungen in der deutschen Landwirtschaft sozial und wirtschaftlich vertretbar gelingen.

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