Vertrauen in die Demokratie ist groß

 

Von Wolfgang Kleideiter

 

Hinter der gerne bemühten Diagnose einer zunehmenden Spaltung und politischen Polarisierung der deutschen Gesellschaft sollte künftig zumindest ein dickes Fragezeichen gesetzt werden. Das renommierte Rheingold-Institut hat im jüngsten Teil einer von Philip Morris in Auftrag gegebenen Studienreihe „Wie wir wirklich leben“ (https://www.wiewirwirklichleben.de/2021-ergebnisse/) keine beängstigende Krise der Demokratie ausgemacht. Die Wahlbereitschaft unter bundesweit 5305 Befragten zwischen 18 und 65 Jahren ist mit rund 80 Prozent sogar erfreulich hoch. Das Vertrauen in ein demokratisches System ist fest verankert.

 

Wie kommt es aber zur pessimistischen Wahrnehmung einer auseinanderdriftenden Gesellschaft? Die Erklärung des Instituts, das vor der repräsentativen Befragung auch 40 psychologische Tiefeninterviews führte, ist nachvollziehbar: Wir Deutschen versteigen uns gerne in permanente Krisendiagnosen und beklagen mit Leidenschaft immer wieder Missstände. Dabei wäre ein intensiver Austausch über Lösungsansätze und Zukunftsmodelle viel sinnvoller, sagen die Studienmacher.

 

In der breit aufgestellten Gesellschaft mit vielen Einzelinteressen könnten Politikerinnen und Politiker heute nicht mehr allein nach den Antworten auf große Herausforderungen suchen. Alle seien gefordert, sich einzubringen und zu engagieren – auch Wirtschaftsunternehmen sollten sich für die Förderung der politischen Bildung einsetzen.

 

Typisierung: Wer wählt wen und was motiviert überhaupt zur Wahl?

 

Die zentralen Fragen der diesjährigen Studie lauten: Warum wählen Bürgerinnen und Bürger, wie sie wählen? Was motiviert sie, wählen zu gehen? Und was hält sie von der Wahl ab? Dabei wurden natürlich auch Parteipräferenzen abgefragt und das offenbar weit verbreitete taktische Wahlverhalten beleuchtet. Die Ergebnisse hier wenig überraschend.

 

Interessant ist neben dem bekannten Wer-wählt-wen-warum-Thema aber eine vom Rheingold-Institut erstellte Typisierung der Wähler. Sie gibt nämlich auch den Parteien Hinweise, um wen sie sich im Wahlkampf vor allem kümmern sollten.

 

30 Prozent gehören laut Institut zur Gruppe der „Zufriedenen Moderaten“, die das Allgemeinwohl in den Vordergrund stellen. 27 Prozent werden der Gruppe der „Engagierten Optimisten“ zugeordnet. Ihr Motto lautet: „Wir müssen den Klimawandel gemeinsam bewältigen.“

17 Prozent macht die Gruppe der „Überforderten Ängstlichen“ aus, die von der Politik erwarten, dass „sie endlich etwas machen“ soll. 15 Prozent gehören zur Gruppe der „Enttäuschten Radikalen“. Motto: „So kann es nicht weitergehen.“ Das anteilige Schlusslicht mit elf Prozent bilden die „Desinteressierten Zurückgezogenen“. Sie haben „andere Sorgen“.

 

Um die Gruppe der „überforderten Ängstlichen“ kümmern

 

Den beiden größeren Gruppen, die persönlich zufrieden, politisch konstruktiv und überdurchschnittlich gut informiert sind (in Summe rund 60 Prozent), stehen laut Untersuchung mehr als 40 Prozent von Bürgern gegenüber, deren Einstellung zu Politik und Gesellschaft also durch tiefsitzende Gefühle von Verunsicherung, Überforderung, Ängsten oder Desinteresse geprägt wird.

 

Laut Rheingold-Institut sollten die Parteien sich bewusst der Gruppe der „Überforderten Ängstlichen“ widmen, den diese sei durchaus noch zu motivieren. Der Angst, man könne desinteressierte Gruppen der Gesellschaft an radikale Parteien verlieren, widersprechen die erhobenen Daten. Nichtwähler lehnen die Positionen dieser Parteien eher ab. Fazit: Ein guter programmatischer Wahlkampf lohnt sich – nicht nur zur Bundestagswahl.

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