Grünes Dribbling im Südwesten

 

Von Wolfgang Molitor

 

In Baden-Württemberg regiert Winfried Kretschmann. Zum dritten Mal in Folge, zum zweiten Mal mit der früheren Staatspartei CDU als gedemütigtem Juniorpartner. Nach wie vor als einziger Grüner unter den Ministerpräsidenten und –präsidentinnen. Unschlagbar wie unangefochten und mit Popularitätswerten, die manchmal jene Grüne erschrecken, die mit der gepflegt konservativen Aura des 73-Jährigen so ihre Probleme haben. Aber sie müssen noch stillhalten und sich gedulden. Denn ohne Kretschmann, der präsidial tief in gegnerische Parteitiefen eingedrungen ist und sich schon seit langem nicht mehr um das Kleinklein des parteiinternen Richtungsstreites schert, ist Grün nur die Hälfte im Südwesten wert.

 

Das birgt für die Spitze der Bundes-Grünen bis zum 26. September mehr Risiken als Chancen. Ein Rückblick auf die letzte Bundestagswahl macht das deutlich. 2017 hatten die Grünen in Baden-Württemberg 13,5 Prozent geholt, im Vergleich zum Bundes-Ergebnis stattliche 4,6 Prozent mehr, aber deutlich weniger als jene 30,3 Prozent, die Kretschmann ein Jahr zuvor bei der Landtagswahl erreichen konnte.

 

Grüne werden zulegen

 

Sicher: Auch in Baden-Württemberg werden die Grünen bei der Bundestagswahl deutlich zulegen. Das jüngste Landtagswahlergebnis sah sie bei 32,6 Prozent, was umso schwerer wiegt, weil die Partei obendrein 58 der 70 Direktmandate gewinnen konnte. Aber ob die grünen Bäume im Südwesten weiter in den Himmel wachsen, ist ungewiss.

 

Annalena Baerbock hat jetzt den grünen Bundestagswahlkampf in Kretschmann-Land eröffnet. Neben Kretschmann wirkt sie noch immer wie eine mehr oder weniger talentierte Nachwuchskraft. Es sind ja nicht nur ihre Ungeschicklichkeiten und Ausrutscher, manche peinlich, manche lässlich, die den Wahlkampf für die Grünen im Ländle unberechenbar machen. Auch wenn Co-Chef Robert Habeck den Grünen die größte Glaubwürdigkeit in Sachen Klimaschutz bescheinigt (und damit auch im Südwesten nicht auf lautstarken Widerspruch stößt), so dürfte es der Partei nicht leichtfallen, die zurückliegenden Pannen-Monate vergessen zu lassen und Baerbocks Kampagne Rückenwind zu verleihen. Zumal in starken Parteikreisen ein gewisses Grummeln über die Entscheidung, es in Stuttgart noch einmal mit der CDU statt mit  SPD und FDP zu versuchen, noch immer zu vernehmen ist.  

 

Noch viele Unentschlossene

 

Land und Bund sind für viele unentschlossene, auch zum wertekonservativen Öko-Lager tendierenden Badener und Württemberger eben zwei Paar Schuhe. Vor allem in jenen noch immer wirtschaftlich starken Regionen, in denen sich Automobilkonzerne wie Audi, Porsche und Mercedes samt ihrer großen Zuliefererindustrie größte Sorgen machen, wie eine künftige Bundesregierung mit einer öko-radikaleren Grünen-Linie, die weit weg von der ihres autofreundlichen Ministerpräsidenten entfernt ist, das Thema Mobilität definiert.

 

Ob Kretschmanns Ausstrahlung im Südwesten noch immer so stark sein wird, um die Zweifel an grüner Politik über das Klimaschutz-Thema hinaus zu zerstreuen und der Kanzlerkandidatin spürbar zu helfen, scheint fraglich. Baerbock wird sich nicht darauf verlassen dürfen. 

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