Nächster Akt im Thüringer Trauerspiel

 

Von Christian Urlage

 

Thüringen ist ein wunderschönes Bundesland: Erfurt schmückt eine bestens erhaltene historische Altstadt, Weimar erinnert an Goethe und Schiller – und oberhalb von Eisenach lockt die mittelalterliche Wartburg jährlich hunderttausende Touristen an.

 

In jüngster Zeit aber kommt das Land aus den Negativschlagzeilen nicht mehr heraus. Das Sechs-Parteien-Parlament ist zerstritten, das Vertrauen der Fraktionen untereinander zerstört. Und es ist zu befürchten, dass an diesem Freitag das Thüringer Trauerspiel um einen weiteren düsteren Akt ergänzt wird.

 

Die politische Mitte schrumpfte

 

Wer die Krise verstehen will, muss zurückblicken auf die Landtagswahl vom 27. Oktober 2019, aus der Linke und AfD als stärkste Parteien hervorgingen. Im mitteldeutschen Bundesland schrumpfte die politische Mitte. Von 90 Sitzen im Parlament entfallen 29 auf die Linke und 22 auf die AfD. Die CDU hat 21 Sitze, die SPD acht, Grüne und FDP haben jeweils fünf Sitze. Für ein „Weiter so“ einer rot-rot-grünen Landesregierung reichte die Stimmenzahl nicht mehr. Weil die CDU verständlicherweise nicht mit den Linken koalieren wollte und mit der AfD keine andere Fraktion, war eine Regierungsbildung schwierig.

 

Für bundesweite Empörung sorgte, dass am 5. Februar 2020 der FDP-Mann Thomas Kemmerich im dritten Wahlgang überraschend zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, mit den Stimmen von FDP, CDU und AfD. Kemmerich blieb nur drei Tage im Amt. Für Kanzlerin Angela Merkel war seine Wahl mit Hilfe der AfD „ein schlechter Tag für die Demokratie“. Sie nannte den Vorgang damals auf einer Südafrika-Reise „unverzeihlich“.

 

Klage in Karlsruhe gegen Merkel

 

Mit ihren inhaltlich zutreffenden Äußerungen beschäftigen sich nun auch noch die Karlsruher Verfassungsrichter, wegen einer Klage der AfD: Die Rechtspopulisten werfen Merkel vor, gegen ihre staatliche Neutralitätspflicht verstoßen zu haben. Das Urteil wird erst in einigen Monaten verkündet und bleibt somit wenigstens bei der Bundestagswahl außen vor.

 

Am 4. März 2020 wurde der Linken-Politiker Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten einer Minderheitsregierung gewählt, ein Entgegenkommen der Christdemokraten in der Zeit der beginnenden Corona-Pandemie. Um handlungsfähig zu bleiben, einigten sich Rot-Rot-Grün und CDU auf einen befristeten „Stabilitätsmechanismus“. Das heißt: Von Fall zu Fall müssen die Fraktionen im Parlament mühsam Mehrheiten suchen. Kein Dauermodell, sondern eines, das im Herbst auslaufen sollte. Dafür hatten die Regierungsparteien und die CDU ein konstruktives Misstrauensvotum vereinbart, so dass es eine Neuwahl zeitgleich mit der Bundestagswahl am 26. September gegeben hätte.

 

Eine Inszenierung der AfD und eine Falle für die CDU

 

Daraus wird nichts, wie sich vor einigen Tagen überraschend herausstellte. In den Reihen von CDU gibt es vier, bei den Linken zwei Abweichler, daher verfehlen Linke, SPD, Grüne und CDU die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit von 60 Stimmen für ein Misstrauensvotum. Und auf die Stimmen der AfD wollen die demokratischen Parteien nicht angewiesen sein.

 

Nun plant die AfD, an diesem Freitag Bodo Ramelow mit einem Misstrauensvotum ab- und ihren rechtsextremen Fraktionschef Björn Höcke einzusetzen. Eine Inszenierung, die vor allem für die CDU heikel werden könnte. Denn wenn auch nur ein Abgeordneter der Unionsfraktion seine Stimme für Höcke abgäbe, würde ein berechtigter Aufschrei folgen. Möglichkeit zwei: Eine andere Partei versucht, der CDU durch bewusste Ja-Stimmen so ein Verhalten unterzujubeln. Eine Falle.

 

Gefahr von Abweichlern

 

Um ihr zu entgehen, hat CDU-Fraktionschef Mario Voigt verkündet, dass alle Unionsabgeordneten bei der Abstimmung sitzen bleiben und sich enthalten. So will er erneute Unruhe durch Abweichler verhindern. Und die Gefahr von Abweichlern ist durchaus wahrscheinlich in Thüringen, wo die örtliche CDU in einem südlichen Wahlkreis den Rechtsaußen Hans-Georg Maaßen für die Bundestagswahl aufgestellt hat.

 

Zu allem Überdruss kommt hinzu, dass die FDP wohl nach der Sommerpause ihren Fraktionsstatus verliert, weil die Abgeordnete Ute Bergner die Fraktion verlassen und in eine ominöse Splitterpartei eintreten will.

 

Wie eine kalte, verkohlte Bratwurst

 

Alle Vorgänge zusammen steigern die Politikverdrossenheit und wirken so appetitlich wie eine kalte, verkohlte Bratwurst. Mit der Rückkehr zu Stabilität und handlungsfähigem Regieren wird es so bald nichts. Und das ist jammerschade für die 2,1 Millionen Einwohner im wunderschönen Freistaat Thüringen.

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