Alles auf den Prüfstand

 

Von Jürgen Wermser

 

Die verheerenden Unwetter in Deutschland machen fassungslos. Vorrangig ist schnelle Hilfe und Solidarität mit den Opfern. Und ein Dank an die vielen professionellen und ehrenamtlichen Helfer. Sie schuften bis zur Erschöpfung, um Menschen zu retten und die große Not zu lindern. Dieses Engagement ist aller Ehren wert.

 

Gewiss, die Menschen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen wussten, dass ihnen ein Unwetter bevorsteht. Aber niemand konnte sich das spätere Ausmaß mit zig Todesopfern und immensen Schäden wirklich vorstellen. Denn solche Ereignisse kennen die allermeisten Bundesbürger nur aus dem Fernsehen - mit Bildern aus fernen, zumeist ärmeren Staaten in Asien. Und jetzt kommen sie plötzlich aus Hagen, Trier, dem Sauerland, von der Ahr. Wie konnte das nur mitten in Deutschland geschehen? Und was kann getan werden, damit sich solche Katastrophen hierzulande nicht wiederholen?

 

Gefühl für Gefahren verloren?

 

Es drängen sich viele Fragen auf: Ist die bisherige Kompetenzverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen weiterhin sinnvoll? Haben zu viele Deutsche das Bewusstsein für mögliche Gefahren verloren? Weshalb werden in Gefahrenregionen Warnmeldungen nicht automatisch an jedes Handy gesendet - ein Verfahren, das in anderen Staaten längst üblich ist? Was geschieht bei Stromausfall und Zerstörung von Mobilfunkmasten? Weshalb werden nicht flächendeckend wieder Sirenen zur Warnung der Bevölkerung installiert? Und weshalb wurden die Bürger nicht überall kurz vor der Flut mit Megafonen und durch Hausbesuche gewarnt, so wie dies bei Bombenentschärfungen gängige Praxis ist?

 

So bitter es klingt: Einfache Antworten kann es auf viele dieser Fragen nicht geben, von den grundsätzlichen zur künftigen Klimapolitik mal ganz abgesehen. Doch ebenso klar ist: Ein simples Weiter-so wäre der sicherste Weg in die nächste Katastrophe. Man muss nicht gleich wie die renommierte britische Expertin Hannah Cloke von einem monumentalen System-Versagen in Deutschland sprechen. Aber offenkundig sind die vorhandenen Strukturen und Verfahren unzureichend.

 

Viele Bürger nicht informiert

 

Viel zu viele Bürger wurden zu unverständlich, zu spät oder überhaupt nicht über ihre persönliche Gefahrensituation gewarnt. Oder aber sie wussten nicht, wie sie sich richtig verhalten sollten. Hier müssen Politiker und Behörden selbstkritisch über grundlegende Korrekturen nachdenken. Denn was nützen die vermeintlich modernsten Notfall- und Alarmsysteme, wenn die Botschaft am Ende nicht rechtzeitig und umfassend den alles entscheidenden Adressaten erreicht: Die unmittelbar Betroffenen vor Ort.

 

Momentan ist Bundestagswahlkampf. Das verleitet einige Politiker leider dazu, die Unwetterfolgen für parteipolitische Zwecke zu missbrauchen. Damit ist niemandem gedient. Im Gegenteil, die politischen Fronten verhärten sich und behindern die gemeinsame sachliche Aufarbeitung. Diese muss schnellstens in den zuständigen Behörden und Ministerien erfolgen. Auch ein Untersuchungsausschuss des kommenden Bundestags ist sinnvoll, parallel zu einem Gremium, das den staatlichen Umgang mit der Corona-Pandemie auf den Prüfstand stellt. Denn das nächste Unwetter und die nächste Pandemie kommen bestimmt…

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