Energiewende mit Nord-Süd-Gefälle

 

Von Michael Lehner

 

Öko-Energie gibts auch in Bayern. Sogar reichlich, wenn Politik die Bürger mit ins Boot holt. Aber der Staat macht es der Bürgerenergie nicht leicht, klagt der bayerische Genossenschaftsverband über Wettbewerbsvorteile für die großen Stromkonzerne.

 

Deutschlands Norden führt seit einem Vierteljahrhundert vor, wie es klappen kann: Rund 4000 Megawatt installierter Leistung bringen die Windräder in Schleswig-Holstein, etwa so viel wie drei Kernkraftwerke mittlerer Größe. Noch spannender: 90 Prozent der Anlagen gehören

(Klein)anlegern aus der Region. Sie profitieren vom Stromverkauf wie die Kommunen, denen die Öko-Energie jährlich um die 50 Millionen Euro in die Kasse bläst.

 

Wind-Genossen freuen sich

 

Logisch, auch im Norden haben die Windparks nicht nur Fans. Aber die Menschen erleben aus eigener Anschauung, wie störend (oder nicht störend) das Geräusch der Rotoren ist: Wohl nicht so sehr, wie falsche Berechnungen über Jahrzehnte glauben machten. Und schon gar nicht

so laut, dass den Wind-Genossen die Freude an der Rendite vergeht.

 

Spannend auch, dass der Wind gegen alle Unkenrufe ziemlich zuverlässig weht: Regelmäßig müssen sie den Strom zu Spottpreisen ins Ausland verkaufen oder gar verschenken. Zum Beispiel über die eben fertiggestellte Mega-Stromleitung durch die Nordsee nach Norwegen. Von da kommt im Gegenzug Energie aus der Wasserkraft, die auch dort zunehmend umstritten ist. Das Aussterben von Wanderfischen wie Lachs und Meerforelle schreitet fast lautlos voran – im Gegensatz zum Windrad-Tod meist gar nicht so seltener Vögel.

 

So oder so: Im Norden haben sie so viel Öko-Strom, dass es – im Gegensatz zum Rest der Republik - nicht nur für reichlich Elektromobilität reichen könnte. Die Region arbeitet auch an „grünen“ Lösungen für konventionelle Motoren. An synthetischen Kraftstoffen, an Gas aus Windstrom und am Treibstoff Wasserstoff.

Alles im Moment noch kostspielige Zukunftsmusik, aber immerhin Zukunft. Solange der Wind Elektrizität im Überfluss beschert – und die Stromleitungen in den Süden Papiertiger bleiben.

 

Staatsregierung unter Druck

 

Es könnte aber sein, dass sich der Wind in Bayern und Baden-Württemberg doch noch schneller dreht als der Leitungsbau (nicht) voran kommt. Die Staatsregierung in München diskutiert unter dem gefühlten Druck „grüner“ zu werden, Lockerungen der rigiden Windpark-Bauvorschriften. Die Zusammenhänge zwischen Insektensterben und Energiemais-Anbau haben sich bis in die urbanen Biotope herumgesprochen. Und beim Landvolk wächst die Lust auf ein größeres Stück vom Energiewende-Kuchen.

 

Womit wir bei den Sätzen vom Anfang des Textes wären: Ja, Öko-Energie funktioniert auch in Bayern. Sogar so prächtig, dass ein kleines Dorf im Allgäu beim „European Energy Award (EEA)“ alle 1500 Mitbewerber auf die Plätze verwiesen hat. Wildpoldsried produziert das Achtfache des eigenen Stromverbrauchs aus regenerativen Quellen, vor allem Bürger-Windparks. Neugierige kommen mittlerweile aus allen Kontinenten. Sie haben ein eigenes kleines Tagungshotel gebaut für Öko-Seminare. Logisch aus Holz, wie die Kinderkrippe, das Parkhaus und die Sporthalle. Alles Gebäude, die mehr Strom liefern als sie verbrauchen.

Mehr dazu: https://www.wildpoldsried.de/

 

250 Genossenschaften

 

Neben dem Leuchtturm Wildpoldsried hat Bayern weitere Lichtblicke zu bieten. Gut 250 Genossenschaften zählt der Genossenschaftsverband Bayern im Energiesektor. Die meisten produzieren Solarstrom, drei betreiben Windräder. Und das könnten viel mehr werden. Letzte Woche zum Internationalen Tag der Genossenschaften beklagte der Verband „politische Entscheidungen, die der Bürgerenergie im Wege stehen.

 

Vom komplizierten Ausschreibungs- und Genehmigungsverfahren über Steuern, hohe Netzentgelte und „Öko-Abgaben auch auf regenerativ erzeugte Energie reichen die Beschwernisse: „Es ist an der Zeit, den Wert dezentraler und regionaler Energieerzeugung und -versorgung zu erkennen, zu fördern und ihr gleiche Wettbewerbschancen einzuräumen wie Großproduzenten, mahnt der Genossenschaftsverband.

 

Starthilfe aus dem Norden für gelungene Bürger-Energieprojekte gibts derweil völlig kostenlos im Internet. Dort geben die Pioniere von Schleswig-Holsteins Westküste Tipps wie es klappt mit dem nachhaltigen Bürgerstrom:

 

https://www.ee-sh.de/de/dokumente/content/leitfaeden-und-magazine/Leitfaden_Buergerwindpark_web.pdf

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