Erst Kassensturz, dann Aufbruch

 

Von Wolfgang Molitor

 

Die Frage ist so alt wie diese Republik. Mindestens. Sie heißt: Was sind Wahlprogramme eigentlich wert? In welche Richtung zeigen sie so konkret und unverrückbar, dass an ihnen abzulesen ist, wie nach der Bundestagswahl in den kommenden Jahren Politik gestaltet werden soll? Die drei großen oder größeren Parteien, die den nächsten Kanzler bzw. die nächste Kanzlerin stellen wollen, haben jetzt schriftlich niedergelegt, wie sie sich das Regieren vorstellen können. Zumindest in etwa.

 

Klimaschutz, Wirtschaftskompetenz, Steuerpolitik, Sicherheit, Modernisierung: Die großen Linien sind gezeichnet, und es stellt sich heraus, dass sie auf langen Strecken dicht nebeneinander laufen. Ob Schwarz-Rot oder Grün: Man will und wird nach der Wahl miteinander auskommen müssen, in neuen, im Bund unerprobten Konstellationen, mit neuem Führungspersonal, vor allem aber in einer Zeit, die nahezu alles und jedes, was sich die artigen Programmmacher wünschen, unter ein einziges Wort stellt: Kassensturz.

 

Seriöser Realitätssinn

 

Da mag man der Union - wie immer aus politischer Standortposition unterschiedlich bewertend - vorwerfen, ihr 139 Seiten dickes Bündel an Plänen, Gedanken und Versprechen wirke ein wenig zu unkonkret und abwartend, zu wenig begeisternd und aufrüttelnd: CDU und CSU haben es unter breiter Einbeziehung der Parteibasis geschafft, neben einem ehrlichen Modernisierungsversprechen nicht jenen seriösen Realitätssinn aus den Augen verloren zu haben, der eine künftige Regierungspolitik nach Corona und in neuer Konstellation berechenbar macht. Der

Vertrauen in Regierungserfahrung schafft. Der die Kraft hat, Gräben im Land zuzuschütten, wenigstens zu überbrücken. Wo andere buntkariert "Aufbruch!" rufen, bietet die Union - nicht mehr und nicht weniger - reformwilligen Pragmatismus an. Und das in vor Wochen noch für kaum möglich gehaltenem gegenseitigen Respekt und in belastbarer Harmonie.

 

Die Union sammelt sich hinter dem Programm und hinter ihrem Kanzlerkandidaten. Denn beide passen zusammen. Solide, vielleicht zu brav in aufpeitschenden Gefühlslagen. Aber fähig, noch abzuwarten, wie sich Corona entwickelt, welche Wirkung die Pandemie in Wirtschaft und Gesellschaft langfristig zeigt und welche Wunden zuerst geheilt werden müssen, bevor parteipolitischer Romantik spektakulär Tribut zu zollen sein wird. Das zeichnet das Wahlprogramm der Union aus. Es will erst später Prioritäten setzen, wenn sich abzeichnet, wo sie am meisten nötig sind. Wenn man besser sieht, welche Partner sich da finden werden, denen man Bewegungsfreiheit einräumen muss.

 

 

Nochmal also: Was ist das Wahlprogramm der Union wert? Kurz gesagt: Es wird den Wahlkampf der beiden C-Parteien weder befeuern noch stören. Aber es ist allemal gut genug, um Armin Laschet zuzutrauen, damit nächster Bundeskanzler werden zu können.

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