Mehr Mimose als Sonnenblume

 

Von Wolfgang Molitor

 

Die Sonnenblume ist das strahlende Symbol der Grünen. Eine große Pflanze bindet pro Tag das in einem Raum von 100 Kubikmetern vorhandene Kohlendioxid. Das ist ökologisch fein. Zudem verfolgt ihre Knospe die Sonne von Ost nach West, während sie sich nachts oder in der Morgendämmerung nach Osten zurückdreht. Das nennt man in der Politik pragmatisch. Ihre Blütezeit reicht von Ende Juni bis in den September. Dann sind bekanntlich Bundestagswahlen.

 

Die Sonnenblume und die Grünen passen also wunderbar zusammen. Und doch favorisiert die aufblühende Partei um ihre heliotrope Kanzlerkandidatin zurzeit mehr ein anderes Pflänzlein, bei dem sie sich besser aufgehoben fühlt: die Mimose. Auch Schamhafte Sinnpflanze genannt. Ihr besonderes Kennzeichen: Sie reagiert auf Erschütterung, schnelle Abkühlung und schnelle Erwärmung. Ein heikles Ziergehölz. Politisch sensibel gegen jede Form von kaltem Regen und starkem Gegenwind.

 

Baden-Württembergs grüner Dauer-Ministerpräsident Winfried Kretschmann nennt Kritik an Annalena Baerbock deshalb schlicht "schäbig". Getürkter Lebenslauf? Künstlich aufgebauscht und in der Sache halb so wild. Nachgemeldete Nebeneinkünfte und Corona-Boni? Nicht schön, aber kann passieren. Peinliche Ausrutscher bei Sachthemen und historischen Zusammenhängen? Lässlich und für die Befähigung zum Kanzleramt nicht entscheidend.

 

Kampf mit Säbel und Florett

 

Denn Annalena B. steht für ein neues Deutschland. Für ein besseres aus Sicht der Grünen sowieso. Und so weit über dem grauen Patriarchat der Mitbewerber, dass sich jede Kritik an ihr, der Guten und Reinen, demnach von selbst entlarvt - als ängstliche Attacke gegen die neue, junge, feminine, öko-soziale und diverse Zukunft. Deutschland aufgepasst, da ist alles drin. So hätten sie es gern, die freundlichen Grünen: Mit dem Säbel gegen den politischen Gegner, na klar. Dass der dann auch nicht immer mit dem Florett antritt, gilt als unfair. Entlarvend. Schäbig eben.

 

So wird die notwendige inhaltliche Auseinandersetzung und die unverzichtbare persönliche Überprüfung gleichgesetzt  mit einem frontalen Rundumschlag gegen junge Frauen generell, die jeder harten Kritik zu entziehen sind. Manches ist in der Tat geschmacklos und inhaltsarm. Etwa die wenig originelle Anzeigenkampagne der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, die Baerbock Moses gleich mit steinernen Verbotstafeln zeigt. Dass "Spiegel" und "Stern", nebst anderen nicht zuletzt öffentlich-rechtlichen Medien, Baerbock als heilsbringende Alternative vor kurzem auf ihre Titelbilder hievten, scheint für die Grünen dagegen Wahlkampfnormalität. Was man dann wohl eine Multiple Mimose nennen darf. 

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