Ökostrom als Mogelpackung

 

Von Michael Lehner

 

Die Energie-Branche lässt sich für eine milliardenteure Nordlink-Stromleitung durch die Nordsee feiern. Deutschlands Norden exportiert auf diesem Weg überschüssige Windkraft nach Skandinavien und bekommt im Gegenzug Wasserkraft aus Norwegen. Klingt gut, ist aber das Gegenteil von kleinteiliger Versorgung aus regenerativen Energiequellen.

 

Den Windstrom aus Friesland könnte Deutschland selber gut gebrauchen, wäre da nicht das Unvermögen, die hausgemachte Energie übers eigene Land zu verteilen. Nordlink ist fertig, Südlink noch lange nicht. Wahr ist auch, dass Norwegen nicht nur Öko-Energie verkauft, sondern auch jede Menge fossile Brennstoffe, zum Beispiel per Gasleitung nach Deutschland. Der Elektroauto-Vorreiter befördert zugleich den globalen Kohlendioxid-Ausstoß.

 

Spannend wird’s beim genaueren Hinsehen auch beim finnischen Staatskonzern Fortum: Dort feiert man sich für den Ausstieg aus der Kohlekraft, betreibt zugleich Atommeiler ohne Ausstiegspläne und erwirbt die Mehrheit am deutschen Kohle-Verstromer Uniper. Wir ahnen: Öko darf auch mal schmutzig sein. Und „Grüner Strom“ ist in Deutschland auch dann sündteuer, wenn er gar nicht grün ist.

 

Wie das einträgliche Geschäft das Land verändert, ist längst sichtbar: Energiemaiswüsten, so weit das deutsche Auge reicht. Verbunden mit Artensterben, auch bei den Bienen, die den Deutschen plötzlich so wichtig sind. Kraftwerkspläne für die letzten einigermaßen intakten Fließgewässer überall in Europa. Nicht nur bei uns, auch in Skandinavien. In Norwegen sterben die Lachse aus, weil ihre Wanderwege versperrt sind. Aber als Ersatz gibt’s ja Lachsfarmen mit höchst zweifelhafter Ökologie.

 

Während Bienen für den Energiepflanzenanbau mit seinem hohen Chemie-Einsatz sterben, trägt auch die Wasserkraft zur Zerstörung ganzer Nahrungsketten bei. Durch Veränderung der Fließgeschwindigkeit verschwindet der Lebensraum für wassergebundene Kleinlebewesen, wichtige Nahrungsketten werden unterbrochen. Zum Schaden von Natur und traditioneller Landwirtschaft.

 

Zugleich fordern die staatlich kontrollierten Wasser- und Atomkraftbetreiber Skandinaviens eine Ausweitung des europäischen Handels mit Emissionszertifikaten. Was nicht nur den Weiterbetrieb von Kohle- und Gaskraftwerken erleichtern könnte, sondern auch dafür sorgt, dass die Wasserkraft zusätzlich Geld in die Kassen spült. 

 

Die Fakten

 

Finnlands staatlich beherrschter Energiekonzern Fortum gehört mit einem Jahresumsatz von 5,5 Milliarden Euro und einer Stromproduktion von 76,3 Terrawattstunden im Jahr 2019 zu den Branchenriesen in Europa. Die Energiequellen verteilen sich auf 37 Prozent Erdgas, 31 Prozent Kernkraft, 26 Prozent Wasserkraft, 3 Prozent Kohle sowie 1 Prozent Solar- und Windkraft (Nachhaltigkeitsbericht 2019). Fortum hält in Deutschland 75,1 Prozent an Uniper, einem der europaweit größten Kohlekraftwerksbetreiber. Neben Finnland, Schweden, Norwegen und dem Baltikum ist Fortum auch in Russland und Großbritannien präsent und plant eine Beteiligung am weiteren Ausbau der Wasserkraft in Frankreich.

 

Norwegens Staatskonzern Statkraft gilt mit einer jährlichen Stromproduktion von knapp 60 Terrawattstunden als Europas größter Produzent von erneuerbaren Energien. Mit einem Anteil von rund 95 Prozent beherrscht Wasserkraft die Aktivitäten des Unternehmens. Knapp 80 Prozent des erzeugten Stroms werden in Norwegen verbraucht – neuerdings auch zum Betrieb neuer Förderanlagen für Öl und Erdgas, die damit als klimaneutral gelten. Mit einer gedeckelten Fördermenge von gut 80 Millionen Tonnen jährlich steht Norwegen weltweit auf Platz 15 der erdölexportierenden Länder. Das Land ist mit 107 Milliarden Kubikmetern ins Ausland verkauftem Erdgas der zweitgrößte Erdgas-Exporteur weltweit. Fast die Hälfte der in Norwegen geförderten Erdgasmenge ging im Jahr 2020 nach Deutschland.

 

Dritter (und Größter) im Bunde der großen skandinavischen Energiekonzerne ist die schwedische Vattenfall, zu Deutsch Wasserfall. Mit einem Jahresumsatz von rund 13 Milliarden Euro und einer jährlichen Energieproduktion von knapp 130 Terrawattstunden ist der Staatskonzern bereits seit den 1990er Jahren auf Expansionskurs – vor allem auch in Deutschland., wo Vattenfall auf Platz 4 der großen Stromlieferanten steht. Hauptenergiequellen des Mutterkonzerns sind Kernkraft (34 Prozent) und Wasserkraft (30 Prozent). Im Energiemix der deutschen Vattenfall-Tochter lag der Anteil fossiler Brennstoffe bis zum Jahr 2015 bei über 90 Prozent, sank aber mit dem Verkauf der Lausitzer Braunkohlekraftwerke an ein tschechisches Konsortium auf 75 Prozent. Für den im Jahr 2021 anstehenden Verzicht auf das Kohlekraftwerk Hamburg-Moorburg entschädigt die deutsche Bundesregierung die Schweden mit 1,4 Milliarden Euro. Um weitere 5,7 Steuermilliarden prozessiert der Konzern wegen der Abschaltung seiner deutschen Kernkraftwerke in Krümmel und Brunsbüttel.

 

Mit ihrem europaweit konkurrenzlos hohen Anteil erneuerbarer Energien (dazu zählen sie auch die Kernkraft) setzen Statkraft, Fortum und Vattenfall verstärkt auf Einnahmen aus dem europäischen Emissionshandel und fordern gemeinsam „Sofortmaßnahmen“ zur Stärkung der Ausgleichszahlungen als „Kerninstrument“ der EU-Klimapolitik. Was auch den Strom aus norwegischem Gas für die deutschen Kunden weiter verteuern dürfte. In Deutschland kostet die Kilowattstunde den Verbraucher gut 30 Cent. Schweden zahlen 18,3 Cent, Finnen 17,4 Cent und die Norweger 13,5 Cent (Quelle: https://strom-report.de/strompreise-europa/).

 

 

Widerstand gegen die für solche Preisunterschiede hauptverantwortliche Wasserkraft formiert sich in Schweden und Norwegen, wo bereits ein Verbot des für ländliche Regionen höchst einträglichen Lachsangler-Tourismus diskutiert wird. Auch im deutschen Süden ist die Debatte um die vermeintlich saubere Energie präsent: https://www.youtube.com/watch?v=kiJazLxQb3s

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