Lebenswirklichkeit in Deutschland

 

Von Jost Springensguth

 

 

In der ursprünglichen Fassung des Grundgesetzes von 1949 galt für das Bundesgebiet das Ziel der „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“. Seit der Verfassungsreform von 1994 im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung gilt der politische Auftrag, die „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ herzustellen. Die Praxis sieht anders aus: Zwischen den ländlichen und urbanen Regionen schließt sich die Schere nicht, sondern bleibt weit geöffnet.

 

Vielfalt und Gegensätze prägen die Lebenswirklichkeit in Deutschland. Das belegen die weit auseinanderklaffenden Strukturdaten ländlich und städtisch geprägter Regionen. West-Ost- und Süd-Nord-Gefälle kommen hinzu. Das Land fällt immer weiter auseinander. Beim Blick in die Wahlprogramme bzw. die Entwürfe und bekannten Zielsetzungen der Parteien fallen eher die Bewahrung von Defiziten statt Lösungsperspektiven auf. Beispiele geben Zitate und Programmentwürfe zu Themen wie Landwirtschaft, Verbraucherschutz, Umwelt- und Naturschutz oder Verkehrspolitik. Da fallen besonders Positionen von Bündnis 90 / Die Grünen ins Auge. Die moralisch begründeten Zielsetzungen und andere Veränderungen werfen wachsende Schatten auf ländliche Räume mit ihren Lebens- und Wohlstandsperspektiven der Menschen, die dort wohnen und (noch) arbeiten. Betroffen sind besonders diejenigen, deren Lebensgrundlagen in der Land- und Naturnutzung gewachsen sind.

 

Alarmierende Strukturdaten

 

Sie haben es jetzt schon schwer genug, wie der demografische Wandel in den letzten Jahrzehnten belegt. Dörfer und ländliche Lebensräume haben sich in vielerlei Hinsicht zu Problemzonen entwickelt. Der Wegzug jüngerer Menschen in wirtschaftsstarke Regionen, rückläufige Geburtenzahlen, Überalterung in den strukturschwachen Städten und Gemeinden sorgen nicht für die Abnahme struktureller Defizite, sondern im Gegenteil: weniger Arbeit, weniger Bildung, wachsende Lücken in der Gesundheitsvorsorge. Das sind Stichworte, die beim Blick in Statistiken und die Entwicklung vieler Strukturdaten die Politik alarmieren müssten – besonders wenn Wahlprogramme geschrieben werden.

 

Zwar hat die Bundesregierung eine „Kommission für gleichwertige Lebensverhältnisse“ eingesetzt, doch wirksame Veränderungen finden kaum den Weg in die Köpfe der Wahlstrategen. Das scheint gerade in dieser Zeit offensichtlich ein untergeordnetes Thema zu sein. Dem ländlichen Raum fehlt eine wirkungsvolle Lobby, zumal die Bevölkerungsentwicklung den Parteizentralen signalisiert, wo Wahlen zu gewinnen sind – gewiss nicht auf dem Lande. Übrigens ein „Lobby-Register“ hilft da nicht weiter…

 

Keine grundlegende Veränderung in Sicht

 

Dass im brandenburgischen Müllrose oder im sächsischen Bad Schandau andere Einkommen, andere Mieten, aber auch andere Immobilienpreise gezahlt werden als etwa im westfälischen Coesfeld, bayerischen Buchloe, ist allgegenwärtig. Das Leben in den strukturschwachen Regionen ist also billiger. Und die Einkommen spiegeln das: Trotz weniger Aufhol-Effekte gibt es unverändert eine Ost-West-Spaltung in den Lebensverhältnissen. Und da ist keine grundlegende Veränderung in Sicht.

 

Es lohnt sich also einmal der Blick in veröffentlichte Ziele und Programme bzw. genau darauf zu schauen, ob das für den einen oder die andere Wahlkämpfer(in), für Spitzenkandidaten und -kandidatinnen überhaupt ein Thema ist. Im Moment überwiegt der Eindruck, das trendige Themen wie Klima, ökologische Wirtschaft und Lebensweisen alles überlagern.

 

Das alles führt die Gesellschaft nicht zusammen, sondern zieht und vertieft Gräben – übrigens auch innerhalb der Parteien. Allein der Blick auf die Union offenbart das mit ihren feinen Unterschieden zwischen CDU und CSU. Markus Söder zeigt das gerade als Wettbewerber im Trendsetting grüner Themen innerhalb der alten Volksparteien.

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